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durch ihren wissenschaftlichen literarhistorischen Inhalt dem italienischen Theil des Kron-
landes zur Ehre gereichen.
Von kleinen deutschen Sprachinseln abgesehen, reden die Bewohner Wälschtirols
eine Volkssprache, welche, ungeachtet der mehr oder weniger verschiedenen örtlichen
Färbung, zur Familie der italienischen Mundarten gehört, obwohl ein nicht geringer
Theil derselben im täglichen Verkehr untereinander Eigenheiten behielt, welche die
alte und enge Verwandtschaft mit der Familie der rhätoromanischen Mundarten bekunden,
die Ascoli ladinische nennt und sie unterscheidet: in die westtridentinische
Gruppe auf der rechten Seite des mittleren Etschthals, nämlich im Sulzberg (Val
di Sole), im Nonsberg (Val di Non) und im Rnmthal (Val di Rumo), und in die
osttridentinische Gruppe, nämlich im Thal des Avisio, welches drei Theile in
sich begreift: das untere oder Cembrathal (Balle di Cembra), das mittlere oder
Fleimsthal (Balle di Fiemme), das obere oder Fassathal (Balle di Fassa), wo das
ladinische Element im Allgemeinen in dem Maße stärker hervortritt, als man sich den
Ursprungsquellen des Avisio nähert.
Im ganzen Etschthal von San Michele bis Borghetto, in dem größten Theil
des Bezirkes von Pergine, in der Valsngana und in den Thälern von Tesino und
Primiero, ferner in den Bezirken von Vezzano, Arco und Riva, im Ledrothal
(Val di Ledro) und in den drei Thälern von Judicarien sprechen die Einwohner
italienische Mundarten, jedoch nicht frei von ladinischen Spuren und mit dem Unter
schied, daß man in bestimmten östlichen Gegenden, wie im unteren Suganathal und im
Bezirk von Primiero Wörter und Laute hört, welche den Einfluß der venetianischen
Dialecte bekunden, hingegen in den westlichen Thälern Wörter und Laute, welche an den
Einfluß der lombardischen Volkssprachen erinnern.
Die allen Dialecten Wälschtirols, wie sie jetzt gestaltet sind, gemeinschaftliche Grund
lage ist dieselbe wie jene der italienischen Schriftsprache nnd der anderen romanischen
Sprachen, nämlich die lateinische Volkssprache (iinAnn romann rnstien). Diese gemein
schaftliche Grundlage hat zur Folge, daß man, ungeachtet der verschiedenartigen Bestand-
theile, aus denen die Bevölkerung nach und nach erwachsen ist, bei einem Vergleiche dieser
Dialecte unter sich und mit der italienischen Schriftsprache sogleich wahrnimmt, daß
sie alle einander so ähnlich sind, daß man von ihnen, wie Ovid von dem Antlitz der
Nereiden, sagen kann:
„kHes non oinnidns nnn,
I^se äiversn Minen, ^unlsin äsest ssss sororuin."
Besonders merkbar in der Bildung der Mundarten müssen die etruskischen Einflüsse
gewesen sein, so zwar, daß mancher Gelehrte es vorzüglich diesem Umstande zuschrieb, daß