Es ist nun nicht schwer einzusehen, dass das Aufheben eines jeden
zweiten Kettfadens mit der Hand behufs Durchschiebens des Schusses
eine überaus langsame und zeitraubende Procedur wer, auf deren Ab-
kürzung der menschliche Eriindungsgeist früher oder später hingeführt
werden musste. Die Möglichkeit einer solchen Abkürzung war durch den
Umstand nahe gelegt, dass man die Kette immer nur in zwei Hälften
von alternirenden Fäden zu zerlegen brauchte. Hier musste der Hebel
angesetzt werden, und heutzutage erscheint uns der nächste Schritt, der
nach der angedeuteten Richtung gethan wurde, allerdings so einfach wie
das Ei des Columbus. Man brauchte blos beim einmaligen Durchgehen
XQX", der Kette unter Hebung der ungeraden und
Liegenlassen der geraden Kettfäden, anstatt
des Schussfadeus einen Stab durchzuschieben
und in dieser Stellung zu belassen, und hatte
die Theilung der Kette in die zwei Hälften
von geraden und ungeraden Fäden ein für
allemal lixirt. Nebenstehende Figur 3, die ich
wie die benachbarte Fig. 4 aus J. Heierlfs
erwähntem Aufsatze über I-Die Anfänge der
Weberei-r (im Anzeiger für schweizerische
Alterthumskunde 1887, S. 423 E.) entlehne,
veranschaulicht den gedachten Process durch
eine Durehschnittsansicht. Die geraden Fäden
x bleiben in der verticalen Richtung ruhig
hängen, die ungeraden y werden nach vorne
gezogen und in dieser Lage durch ein da-
zwischengeschobenes und auf zwei an den
Pfosten befestigte Traghölzer aufgeetlitztes
Querholz b festgehalten. So entsteht zwi-
scheu den Fäden x und y ein im Durch-
schnitt keilförmiger Raum a, das sogenannte
Fach'). Steckte man die Spule mit dem
Fis- 3- Fis- 4- darauf gewickelten Schussfaden durch das
Fach und ließ den Faden in der ganzen Breite der Kette ablaufen, so
hatte man mit einem Griff einen ganzen Schuss zwischen die Kett-
fäden - vor die geraden und hinter die ungeraden - gebracht, ohne
erst die letzteren einzeln mit der Hand aufheben zu müssen. Die Er-
findung einer solchen Art mechanischer Zweitheilung der Kette, die so-
genannte Fachbildung, war nun eine Vorbedingung für jede Art von
Weberei, die sich einigermaßen über das Niveau einfacher (nicht Kunst-)
Flechterei erheben sollte.
') Die Faden x und y gabeln sich in der Abbildung nicht schon ganz oben am
Zeugbaum (g), sondern ein Stuck weiter unterhalb, weil ein Stuck Zeuges bereits als
fertig geweht gedacht ist.