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und Glätten erhält ein solches Gussstück weiters seine kunstgemäße Voll-
endung. Bezüglich der Formgebung des eben vorgeführten Kännchens
werden wir kaum irren, wenn wir sie als identisch mit jener des gleichen
Gegenstandes aus Silber annehmen, welche unser Meister in einem anderen
Capitel der Schedula lehrt. Wir haben uns den Gefäßbauch von rund-
licher Form zu denken, mit einem schlanken Halse versehen, ferner mit
einem Ohrhenkel und einem geraden Ausgussrohr. Mit Rücksicht auf die
angegebene Länge der Drehspindel sind wir in der Lage, die Höhe des
Kännchens mit 10-12 Centimeter anzugeben. Bemerkenswerth erscheint
der Mangel jeglicher Andeutung einer Zierform, eines plastischen oder
gravirten Ornaments der zinnernen Ampulla, während bei der silbernen
auf die Eventualität einer reichen Ausstattung mit Bildwerk getriebener
Arbeit hingewiesen ist. Als Ziermittel selbst jedoch, für andere Materialien
verschiedener Art, weiß man in der Klosterwerkstatt das Zinn gar treff-
lich zu benützen. Doch ginge es nicht gut an, auf derlei Arbeiten an
dieser Stelle Rücksicht zu nehmen, da dies von dem ins Auge gefassten
Gegenstande, der Zinnarbeit als solcher, zu weit abführen würde. Wenn
wir von Theophilus scheiden, so muss uns, wie immer wenn er uns Auf-
klärung verschafft, das Gefühl der Dankbarkeit für jene Fürsorge durch-
dringen, mit welcher der demüthige Künstler seine Erfahrungen auf uns
überträgt, aus Furcht als ein unnützer Knecht zu erscheinen, wie jener
Verwalter im Evangelium, welcher die ihm anvertraute Summe nicht
nutzbringend verwendete.
Die erhaltenen spärlichen Objecte, welche für die Zinnbearbeitung
in der unmittelbar auf die Entstehungszeit der Schedula folgenden Periode
zeugen, beschränken sich zumeist auf jene in den Gräbern kirchlicher
Würdenträger gefundenen Krummstäbe und Kelcheä), welche, in der ein-
fachsten Form hergestellt, vielleicht auch vergoldet, nur dem Zwecke des
funerären Cultus dienten.
Forschen wir nach der Epoche der allgemeinen Verbreitung der
Zinnarbeiten im christlichen Mittelalter, so sehen wir, dass dieselbe mit
der Entwicklung der gothischen Kunstweise zusammenfällt.
Wahl und Durchführung der Objecte werden zunächst durch den
Umstand beeinflusst, dass die Kunst nicht mehr ausschließlich ihre beste
Pflege innerhalb der Klostermauern findet, sondern, den Bedürfnissen
der Laienwelt sich anpassend, von Laienhand ausgeübt, gedeiht.
Außer einem solchen, die Kunstübungen im Allgemeinen umbildenden
Verhältnisse, welches hauptsächlich durch die gesunde, thatkräftige Ein-
wirkung des emporblühenden Bürgerthums zum Ausdruck kommt, ist es
noch ein weiterer Umstand von höchster Bedeutung, welcher gerade der
von uns betrachteten Kunstübung ein rasches Gedeihen ermöglichte.
Vom r3. Jahrhundert an hatte man es im Centrum des europäischen
5) Näheres bei Bnpst, n. a. O. p. wo.