Litteratur - Bericht.
Zu M. KimbePs rNothruf des Kunstgewerbesu.
Der kurzen Anzeige, welche eben noch vnr Redactionsschluss in die letzte Nummer
der vMittheilungen-i aufgenommen wurde, mögen nun noch einige Worte folgen, welche
eine Betrachtung des Weaentlichsten aus dem Inhalte der Broschüre bringen sollen. Dazu
gibt weniger das Positive dieses Inhalts die Veranlassung, als vielmehr die schon im
Schlagworte am Anfange des Titels zum Ausdruck gebrachte Energie, die Entschieden-
heit, mit welcher der Verfasser lauter als irgend ein Anderer den Mahn- und Hilferuf
erschallen lasst: dass für das Handwerk, speciell für das Kunsthandwerk Gefahr im Ver-
zuge sei und Alles aufgeboten werden müsse, um den immer mächtiger hereinbrechenden
Uebeln zu steuern. Alles vom allgemeinen Standpunkt aus in Betracht zu Ziehende,
was uns der Verfasser verführt, ist ja nur eine neue Variante eines alten und bekannten
Thema's. Die Klagen über den Niedergang der Gewerbebetriebe, welche durch die Groß-
industrie langsam aber sicher erdrückt werden; über die Thatsache, dass sdas Band der
Zusammengehörigkeit zwischen Meister, Gesellen und Lehrlingen vollig zerrissen: sei;
über vRücksichtslosigkeit und kaufmännische Gewissenlosigkeitc u. s. w. sind nicht durch
Kimbel zum ersten Male laut geworden. Er entrollt vor unseren Augen ein Bild gewerb-
licher Verhältnisse, welche längst bekannt und auch tief empfunden sind. Solch" All-
gemeines und manches Besondere bezieht er jedoch nur auf den Osten Deutschlands, in
erster Linie auf Breslau, wie er denn auch die Gelegenheit ergreift, die geschilderten
Zustände seiner Heimat mit jenen anderer Localitäten Deutschlands, insbesondere Süd-
deutschlands, in Gegensatz zu bringen.
Die Vorschläge des Verfassers zur Besserung der Sachlage sind einerseits gewerbe-
politischer und organisatorischer, anderseits erziehlieher, und zwar den gewerblichen
Zeichenunterricht betreffender Art. Obwohl die letzteren an dominirender Stelle an-
geführt sind, so haben sie doch in keiner Weise die Bedeutung, welche die übrigen
unzweifelhaft in sich schließen, und welche daher auch hier hauptsächlich in's Auge
gefasst werden sollen.
Das Lehrlingswesen und -Unwesen, die massenweise Verwendung der Lehrlinge
als billige Arbeitskräfte von Seite der kleinen Meister ündet scharfen Tadel, und es wird
Abstellung des Unfugs von den Innungen gefordert und erwartet. Der Verfasser weist auf
die schädigende Wirkung der Einführung deutscher und ausländischer, insbesondere
amerikanischer Massenproducte hin und kritisirt die Thatigkeit der Zwischenhändler,
welche durch uauswärts gekaufte Waare den kleinen Meisterstand an die Wand drückene.
Wohl mit Unrecht hoEt er hier Besserung von eventueller Einschränkung der Ge-
werbefreiheit. Die auf dem Wege der Legislative zu erreichende Hilfe zieht er mit der
schützenden Wirkung der Forstgesetze in Parallele. Dem Einßusse des Zwischenhandels
schreibt er den Umstand zu, dass nder Handwerkerstand in seiner Kraft zurückgingl,
welcher die Waare auf Kosten der Qualität erzeugte und in abhängige Stellung gerieth.
Wir finden die Ueberzeugung ausgesprochen, dass heute die Iweitaus starkste Zahl
der aus den neuen Brutstätten des Handwerks ausgekrochenen Lehrlinge absolut nichts
mehr werth- sei, und es erscheint das hier in Anwendung zu bringende Mittel dahin
pracisirt, dass die leistungsfähigeren Gewerbetreibenden gegen entsprechende Zugeständ-
nisse zu veranlassen wären, Lehrlinge aufzunehmen und auszubilden. Der unlauteren
Concurrenz und dem Musterdiebstahl wäre durch entsprechende einfache gesetzliche Be-
stimmungen (der Verfasser weist auf die einschlägigen französischen Gesetze hin) ein Ziel
zu setzen.
Wie viel Beherzigenawerthes in diesen Ausführungen liegt, braucht aus dem
Grunde nicht hervorgehoben zu werden, weil jeder der berührten Punkte allgemein
bekannt ist und vielfach im Gewerbeleben zur Erörterung gelangte. Mancher andere
weiters gemachte Vorschlag dürfte weniger zu vertheidigen sein. Z. B. ist es wohl
wahr, dass die Berechtigung zur einjährigen Dienstzeit, auf Kosten der zu erreichenden
praktischen Berufsthatigkeit errungen, nur Uebel stiften kann, doch ist hier in erster
Linie nur der Einsichtslosigkeit Derjenigen die Schuld beizumessen, welche bei der Fest-
setzung des Bildun sweges ihrer Angehörigen an falschen Voraussetzungen festhalten.
Aufklärung würde ier mehr nützen als gesetzliche Einschränkungen. Ferner kann nicht
so ohne Weiteres zugegeben werden, dass in großen Städten lediglich die Schulstube
und der Schulmeister die Ursache der häufigen physischen Mängel der modernen Ge-
neration seien. Der Baum des Groüstadtelends hat gar viele Wurzeln.
Zu bemerken wäre hier auch, dass der Verfasser rnit den tadelnden Bemerkungen
über die Institutionen histnrisch-wissenschaftlicher Tendenz ein Gebiet betritt, auf welchem
ihm die Grundlage berechtigter Kritik fehlt und wenn er im Allgemeinen die Anschaffung
wnhlfeiler Nachahmungen alter Arbeiten anstatt der theueren Originale empfiehlt, so con-
funtlirt er den Standpunkt, welchen die großen kunstgewerblichen Sammlungen einnehmen