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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe VII (1892 / 2)

ZU 
sollen wir sprechen, sondern, dem engeren Thema treu, behandeln wir ein 
mehr äußerliches Verhältniss: Ob und in wie ferne der Architekt, 
Bildhauer, Maler und selbst das Kunstgewerbe an Gesetze 
kirchlicher Autorität gebunden sind. 
Ganz abgesehen vom göttlichen Rechte, wäre es unbillig, der Kirche 
eine natürliche Befugniss zu versagen, welche auf profanem Gebiete jeder 
Besteller hat: seine Wünsche zu determiniren. Ein Theaterbau richtet 
sich genau nach Bedürfniss und Erfahrung - ja sogar nach sicherheits- 
polizeilichen, nicht immer kunstfördernden Anordnungen. Sollte allen 
pädagogischen und hygienischen Ansichten entsprochen werden, würde 
bald die richtig construirte Schulbank zu den unerreichbaren Idealen 
zählen. Da dürfen gewiss auch wir nicht erröthen, wenn wir um so mehr 
für den erhabenen Dienst und auserlesenen Schmuck des Altars Vor- 
schriften betonen, die so alt sind wie die Kirche selbst. Traditionen, schon 
aus der apostolischen Zeit, streng formulirte Vorschriften und wiederum 
ausdrückliche Anerkennung der Formenfreiheit: Alles aber lebendig und 
organisch entstanden, nicht todte byzantinisch-starre Formen! Die anschei- 
nende Systemlosigkeit ihres Entstehens, besonders bei den geschriebenen 
diesbezüglichen Gesetzen, zeigt, wie sie gerade durch das Bedürfniss oder 
einen Zweifel in der Praxis und eine daraufhin erfolgte Anfrage bei der 
kirchlichen Behörde hervorgerufen wurden. Die katholische Kunsttradition 
stand immer in Fiihlung mit der allgemeinen Entwickelung der Kunst und 
hat nie, wie in der russischen Kirche, die lebendige Volksseele als ein 
feindliches Element betrachtet. Das Verhältniss zwischen Form und Norm 
soll nie zu hieratischer Unbeweglichkeit führen. Nirgends wird durch 
unsere Vorschriften das eigentlich künstlerische Wesen, die stilistische 
Form alterirt. Es handelt sich mehr um die Anordnung der Formen, um 
die Zweckmäßigkeit der Gestaltungen, um die schon durch das kostbare 
Materiale symbolisirte Erhabenheit des Cultus; nirgends aber hat der 
Künstler in seinem edelsten Streben ein unkünstlerisches Hemmniss oder 
gar einen unwürdigen Sclavendienst zu fürchten. Schon deshalb nicht, 
weil die Kunst, in ihrem innersten Wesen tief religiös, von jeher eine 
Freundin der Religion war. Wäre es möglich, dass alle Religion zu Grunde 
ginge und dass die Kunst den Untergang der hehren Freundin überdauere 
- sie würde dieselbe wohl nicht ersetzen können, aber gewiss würde sie, 
die Enkelin Gottes nach Dante's Wort, das Bedürfniss, über die Natur 
uns thatsächlich zu erheben, erhalten. Einen principiellen Widerspruch 
zwischen künstlerischen und liturgischen lnteressen kann es darum eben- 
sowenig als zwischen Religion und Kunst geben. Das Kunstschöne besteht 
in der lebendigen Harmonie zwischen ungebundenem Leben und strengster 
Ordnung; auch das kirchlich Schöne und liturgisch Richtige ist eine solche 
lebendige Harmonie, deren beide Pole sind: künstlerisch reifste Form 
einerseits und Geist der Liturgie oder ausdrückliche Vorschrift der Kirche 
andererseits. (Fortsetzung folgt.)
	        
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