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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe VII (1892 / 2)

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Ueber den Einfluss der Naturliebe auf die Entwicke- 
lung des Florentiner Reliefornamentes im 15. Jahr- 
hundert. 
Von Jos. Folnesics. 
(Fortsetzung) 
Die Freude an dieser Leistung rief bald Nachahmungen hervor. 
ln Orvieto musste Piero selbst 14.02 ein marmornes Taufbecken in diesem 
Sinne schmücken und meißelte nebst des beliebten Eichenlaubes und 
ungemein zarter Blumen in eines der Felder eine schöne, höchst leben- 
dige und ganz naturalistische Lerche, welche eben im BegriEe ist, aus 
dem Neste aufzulliegen. Jede Feder ist auf das feinste angegeben, und mit 
Recht gilt dieses Stück für ein Meisterwerk der Miniaturplastik '). 
In Florenz wurde bald darauf an einer anderen Seite des Domes 
eine zweite Thüre von einem etwas jüngeren Künstler, Niccolb di 
Piero de" Lamberti von Arezzo und zwei Gehilfen, in dieser Weise 
geschmückt. Hier umschließen Akanthusranken einzelne Figürchen, die 
hoch aus dem Marmor herausgeschnitten. und dabei scharf und schön 
umrissen sind. Beflügelte und unbellügelte Kinder, zum Theil auf Musik- 
instrumenten spielend, Thaten des Herakles, nackte weibliche Figuren, 
Engel, Genien u. s. w. werden von einem schwungvoll behandelten 
Rankenwerlt umschlungen. Ein Einfluss der Antike ist hier nicht allein 
in sachlicher, sondern auch in formaler Hinsicht deutlich erkennbar. ln 
Bezug auf richtige Proportionen zeigt sich ein entschiedener Fortschritt. 
An kräftigem Realismus, Reichthum an lebendigen Motiven, an Geist 
und Humor wetteifert aber diese Arbeit mit der vorher besprochenen 
Domthüre und zeigt, wie durchsichtig die Scheidewand ist, welche 
Gothik und Renaissance voneinander trennt. 
Als interessanter Gegensatz mag hier die fast gleichzeitige Arbeit 
eines Sienesen Erwähnung finden, eines Künstlers, der sich, obwohl sonst 
der Gothik keineswegs entfremdet, bei einem seiner Werke wesentlich 
von antiker Decorationsweise beeinflussen ließ. 14.13 vollendete Jacopo 
della Quercia im Dom von Lucca das Grabmal der llaria del Car- 
retto, im Sinne der Wiedergeburt der Antike das früheste Werk der 
Renaissance. Die Vorderseite des Sarkophages schmücken geflügelte 
Knaben in Hochrelief, welche Gewinde aus Früchten und Blumen tragen. 
Es sind kräftige, dralle Kinder, zum Theil hübsch bewegt, an bessere 
römische Arbeiten erinnernd, die Guirlanden dagegen zeigen eine auf- 
fallend gleichgiltige Behandlung. Von einem Streben nach Naturwahrheit 
ist hier nichts zu entdecken, vielmehr meint man, die todte Arbeit des 
Copisten vor sich zu haben, der ein unzulängliches Vorbild interesselos 
nachmeißelt. 
') Vergl. H. Semper n. a. O. S. zu.
	        
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