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Ueber den Einfluss der Naturliebe auf die Entwicke-
lung des Florentiner Reliefornamentes im 15. Jahr-
hundert.
Von Jos. Folnesics.
(Fortsetzung)
Die Freude an dieser Leistung rief bald Nachahmungen hervor.
ln Orvieto musste Piero selbst 14.02 ein marmornes Taufbecken in diesem
Sinne schmücken und meißelte nebst des beliebten Eichenlaubes und
ungemein zarter Blumen in eines der Felder eine schöne, höchst leben-
dige und ganz naturalistische Lerche, welche eben im BegriEe ist, aus
dem Neste aufzulliegen. Jede Feder ist auf das feinste angegeben, und mit
Recht gilt dieses Stück für ein Meisterwerk der Miniaturplastik ').
In Florenz wurde bald darauf an einer anderen Seite des Domes
eine zweite Thüre von einem etwas jüngeren Künstler, Niccolb di
Piero de" Lamberti von Arezzo und zwei Gehilfen, in dieser Weise
geschmückt. Hier umschließen Akanthusranken einzelne Figürchen, die
hoch aus dem Marmor herausgeschnitten. und dabei scharf und schön
umrissen sind. Beflügelte und unbellügelte Kinder, zum Theil auf Musik-
instrumenten spielend, Thaten des Herakles, nackte weibliche Figuren,
Engel, Genien u. s. w. werden von einem schwungvoll behandelten
Rankenwerlt umschlungen. Ein Einfluss der Antike ist hier nicht allein
in sachlicher, sondern auch in formaler Hinsicht deutlich erkennbar. ln
Bezug auf richtige Proportionen zeigt sich ein entschiedener Fortschritt.
An kräftigem Realismus, Reichthum an lebendigen Motiven, an Geist
und Humor wetteifert aber diese Arbeit mit der vorher besprochenen
Domthüre und zeigt, wie durchsichtig die Scheidewand ist, welche
Gothik und Renaissance voneinander trennt.
Als interessanter Gegensatz mag hier die fast gleichzeitige Arbeit
eines Sienesen Erwähnung finden, eines Künstlers, der sich, obwohl sonst
der Gothik keineswegs entfremdet, bei einem seiner Werke wesentlich
von antiker Decorationsweise beeinflussen ließ. 14.13 vollendete Jacopo
della Quercia im Dom von Lucca das Grabmal der llaria del Car-
retto, im Sinne der Wiedergeburt der Antike das früheste Werk der
Renaissance. Die Vorderseite des Sarkophages schmücken geflügelte
Knaben in Hochrelief, welche Gewinde aus Früchten und Blumen tragen.
Es sind kräftige, dralle Kinder, zum Theil hübsch bewegt, an bessere
römische Arbeiten erinnernd, die Guirlanden dagegen zeigen eine auf-
fallend gleichgiltige Behandlung. Von einem Streben nach Naturwahrheit
ist hier nichts zu entdecken, vielmehr meint man, die todte Arbeit des
Copisten vor sich zu haben, der ein unzulängliches Vorbild interesselos
nachmeißelt.
') Vergl. H. Semper n. a. O. S. zu.