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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe VII (1892 / 3)

diesen Dingen das zu sein, dass auch die Kunst, wie alles Irdische -- 
absoluter Freiheit entbehre. 
Beim unbefriedigenden Ausklingen der Antike setzt nun das Christen- 
thum ein und nimmt willig in seiner Kunst die Schönheitsfarm griechisch- 
römischer Bildung auf: für seine Bauten, Sculpturen, Katakombenmalerei, 
die Kleinkunst und liturgische Kleidung, in welch' letzterer sich Tunica 
und Pallium, Senatoren- und Consulenabzeichen in mehr oder weniger 
veränderter Form bis heute erhalten haben. Und wenn unser großer 
Fübrich die griechischen Götter gewissermaßen Prophezeiungen der 
Menschwerdung nennen darf, hat er damit das antike, historisch-sym- 
bolische Fundament für die christliche Idee vom göttlichen Berufe 
wahrer Kunst ausgesprochen. Schon durch das Hinzutreten verklärter 
Schönheitsfarm erhält die Materie eine höhere Weihe und wird im 
Christenthum für den Dienst des wahren Gottes und durch denselben 
geheiligt, nconsecrirtu und dem profanen Gebrauche entzogen. Auf diese 
principielle Auffassung stützt sich das praktische Vorgehen der Kirche, 
wenn sie ihre, nunmehr näher zu behandelnden Vorschriften, traditionellen 
Forderungen und Wünsche dem Künstler gegenüber geltend macht. Wie 
dieses Princip also nicht auf einem Gegensatze sondern geradezu auf 
dem wechselseitigen Bedürfniss zwischen Religion und Kunst beruht, 
kann auch in der Praxis durchaus kein Gegensatz bestehen; ja wich- 
tige Detailfragen, besonders der Architekturgeschichte und der kirchlichen 
Kleinkunst (Veränderungen der Choranlage, Altarformen, Entwickelung 
der Monstranze etc.), sind ohne Rücksicht auf die Umbildungen der 
Liturgie nicht zu verstehen. Die Geschichte der Liturgie ist vielfach 
geradezu der Leitfaden in der Architekturgeschichte. 
Geschriebene und ungeschriebene Quellen sind es, aus denen 
die liturgischen Gesetze fließen. Zu den ungeschriebenen gehören die 
wissenschaftlich nachweisbaren Traditionen in der Baukunst, in der Sym- 
bolik, in der Formenentwickelung jeder Art. Mehr an locale Grenzen 
gebunden, werden die Traditionen richtiger Gewohnheit, consuetudo 
vigens genannt und bilden eine überaus wichtige Quelle liturgischen 
Rechtes. Diese Ueberlieferungen oder Gewohnheiten spielen in der 
Kirche, wie in ihrer gesammten Rechtsordnung so auch beim Gottes- 
dienste und seiner Kunst eine große Rolle und mit Recht. Auf dem 
Wege des factischen Gebrauches, in engeren oder weiteren Kreisen ein- 
geführt, sind sie vielfach durch ausdrückliche kirchliche Gesetzgebung, 
wie z. B. in den Bullen und Bestimmungen Pius V. oder Benedict XIV. 
schließlich zur allgemeinen verpflichtenden Rechtsnorm erhoben worden. 
Der Werth einer Tradition ist selbstverständlich ein um so größerer, 
je mehr dieselbe dem apostolischen und katholischen Charakter der 
Kirche entspricht, das heißt, je ungetrübter sie auf apostolische Anordnung 
zurückgeht, je älter sie ist; aber auch je leichter und allseitiger der 
Geist einer solchen selbst den modernsten Bedürfnissen anbequemt werden 
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