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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe VII (1892 / 7)

 
werden; bezeichnend ist es aber, dass es von einem Amerikaner geschrieben wurde. Ein 
Autor, der seine archäologischen Studien etwa in Deutschland zurückgelegt hat, wurde 
sich niemals erkühnt haben, historische Zusammenhänge auf Gebieten zu suchen und zu 
behaupten, wo man gemäß der bei uns vorherrschenden Lehrmeinung überall spontane, 
weil rein technisch-materielle Entstehung anzunehmen hätte. Seitdem aus Hissarlik, 
Cypern, Mykenl anscheinend weit zurückliegende ornamentale Künste ans Licht gelangt 
sind , war die deutsche Archäologie rastlos bemüht, die vTechnikenu ausündig zu 
machen, denen die am meisten charakteristischen und grundlegenden Motive jener Orna- 
mentiken ihre Entstehung zu verdanken hatten. Goodyear geht dagegen von der Meinung 
aus, dass der Mensch auch die reinen Zierformen, sobald er nur -- was jeweilig nach- 
zuweisen ist - die Gelegenheit gehabt hat, sie von anderen vorgeschrittenen Cultur- 
vblkern kennen zu lernen, nicht erst wiederum selbständig erfunden, sondern sich ein- 
fach vermbge des Nachahmungstriebes lehnweise zu Eigen gemacht hat. Wenn also die 
altägyptische Kunst die erste gewesen ist, welche eine Reihe vegetabilischer Verzierungs- 
formen geschaifen hat. so werden z. B. die Etrusker, zu denen das Motiv der dreispältigen 
Lotusblüthe auf Geräthen und Schmuckgegenstanden im Wege des Handels nachweislich 
gelangt ist, das dreispältige stilistische Blumenproül nicht erst selbständig erfunden, 
sondern dasselbe einfach übernommen haben, nachdem ihnen überhaupt die formalen 
Eigenschaften des genannten Motives und seine dementsprechende Verwendbarkeit zu 
Schmückungszwecken klar geworden sind. Der Zusammenhang aller stilisirt-vegeta- 
bilischen Ornamente der antiken Künste ist in der That ein so greifbarer, dass er bereits 
früher von Vielen bemerkt und für einzelne beschränkte Gebiete auch ausdrücklich 
behauptet worden ist. Goodyear bleibt aber jedenfalls das Verdienst der Erste gewesen zu 
sein, der den absoluten genetischen Zusammenhang zwischen allen diesen Formen litte- 
rarisch zu vertreten gesucht hat. ln meinen im Wintersemester xßgojgt an der Wiener 
Universität gehaltenen Vorlesungen habe ich übrigens in ähnlicher Weise wie Goodyear, 
nur weiter hinausgreifend in das Mittelalter und in die neuere Zeit, eine i-Geschichte der 
Ornamentik- zu entwerfen gesucht. Natürlich haben mich meine diesbezüglichen Unter- 
suchungen vielfach zu anderen Resultaten geführt, was zu zeigen mir in einer im Zuge 
befindlichen Veröffentlichung der Hauptgedanken, die ich in jenen Vorlesungen aus- 
gesprochen habe, bald Gelegenheit geboten sein wird. Namentlich vermag ich mir den 
extremen Standpunkt Goodyeafs nicht anzueignen, der z. . auch in gewissen Motiven 
der nordischlprahistorischen Kunst, die wie das Zickzack als bloße lineare Schemen von 
Rhythmus und Symmetrie, als das erste Kunstlallen des primitiven Menschen sich dar- 
stellen, Abhängkeit von ägyptischen Vorbildern vermuthet. Diesbezüglich hätte die Lectüre 
Semper's dem Verfasser sicherlich von aufklärendem Nutzen sein konnen. Weitere Differenz- 
punkte zwischen der meinigen und Goodyearä Auiassung betretfen den Sonnencultus, 
dessen Bedeutung für die Gemeinsamkeit der antiken Ornamentiken Goodyear mir weit 
über alles Nachweisbare hinaus zu überschätzen scheint, ferner den echt hellenischen Kern 
in der mykenischen Ornamentik, wofür sich in der Kunst des antiken Orients keine 
Vorbilder finden und dessen Vorhandensein Goodyear vollständig übersieht. Dagegen 
verdanken wir Goodyear auch eine ganze Reihe von grundlegenden Aufklarungen im 
Einzelnen; icb erwähne blos die Eruirung derjenigen Pflanze, die den Lotustypen der 
altagyptischen Kunst zu Grunde liegt und die man bisher einstimmig ganz falsch bestimmt 
hat, ferner die Streichung des Papyrus aus der Zahl der Ornamente, aufGrund desNachweises, 
dass das sogenannte Papyrusprofil nichts anderes ist als eine bestimmte Abart des Lotus- 
proüls, deren Entstehung sich ganz ungezwungen erklaren lässt. - Wie es sich bei einem 
Werke der gekennzeichneten Tendenz von selbst versteht, erscheinen die aufgestellten 
Behauptungen zugleich durch Abbildungen erläutert, die 67 Tafeln füllen und sich auch 
im Texte zahlreich eingestreut vorfinden. Rgl. 
O 
Altäre und Sculpturen des Münsters zu Salem. Photographiscli anf- 
genommen und herausgegeben von Otto Aufleger. 20 Bl. Licht- 
druck. (Süddeutsche Architektur und Ornamentik Bd. Vl.) München, 
1892, L. Werner. M. 20. 
Die ehemalige Cistereienser Reichsabtei Salem bei Ueberlingen besitzt in ihrem 
gothischea Münster eine Innenausstattung aus Marmor und Alabaster, welche aus dem 
Ende des vori en Jahrhunderts stammend, also im Stile Ludwig XVl. ausgeführt, mit 
der mittelalterlichen Architektur des Gotteshauses zwar fremdartig contrastirt, an eleganter 
Vornehmheit aber dadurch nichts einbüßt. An Pfeilern und Wänden der Kirche befinden sich 
regelmäßig vertheilt Grabmller und Altare, zumeist Arbeiten des Bildhauers Johann Georg 
Dur r, geb. zu Weilheim in Oberbayern, welche vortremiche Zeugen für den Uebergangsstil 
zum Empire bilden. Voll koketten Reizes in ihren noch an das Rocnco geinahnenden 
Formen und gleichzeitig nicht ohne Härte und Sprödigkeit unter dem Eintiusse des be- 
Jahrg. _r89z. 9
	        
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