werden; bezeichnend ist es aber, dass es von einem Amerikaner geschrieben wurde. Ein
Autor, der seine archäologischen Studien etwa in Deutschland zurückgelegt hat, wurde
sich niemals erkühnt haben, historische Zusammenhänge auf Gebieten zu suchen und zu
behaupten, wo man gemäß der bei uns vorherrschenden Lehrmeinung überall spontane,
weil rein technisch-materielle Entstehung anzunehmen hätte. Seitdem aus Hissarlik,
Cypern, Mykenl anscheinend weit zurückliegende ornamentale Künste ans Licht gelangt
sind , war die deutsche Archäologie rastlos bemüht, die vTechnikenu ausündig zu
machen, denen die am meisten charakteristischen und grundlegenden Motive jener Orna-
mentiken ihre Entstehung zu verdanken hatten. Goodyear geht dagegen von der Meinung
aus, dass der Mensch auch die reinen Zierformen, sobald er nur -- was jeweilig nach-
zuweisen ist - die Gelegenheit gehabt hat, sie von anderen vorgeschrittenen Cultur-
vblkern kennen zu lernen, nicht erst wiederum selbständig erfunden, sondern sich ein-
fach vermbge des Nachahmungstriebes lehnweise zu Eigen gemacht hat. Wenn also die
altägyptische Kunst die erste gewesen ist, welche eine Reihe vegetabilischer Verzierungs-
formen geschaifen hat. so werden z. B. die Etrusker, zu denen das Motiv der dreispältigen
Lotusblüthe auf Geräthen und Schmuckgegenstanden im Wege des Handels nachweislich
gelangt ist, das dreispältige stilistische Blumenproül nicht erst selbständig erfunden,
sondern dasselbe einfach übernommen haben, nachdem ihnen überhaupt die formalen
Eigenschaften des genannten Motives und seine dementsprechende Verwendbarkeit zu
Schmückungszwecken klar geworden sind. Der Zusammenhang aller stilisirt-vegeta-
bilischen Ornamente der antiken Künste ist in der That ein so greifbarer, dass er bereits
früher von Vielen bemerkt und für einzelne beschränkte Gebiete auch ausdrücklich
behauptet worden ist. Goodyear bleibt aber jedenfalls das Verdienst der Erste gewesen zu
sein, der den absoluten genetischen Zusammenhang zwischen allen diesen Formen litte-
rarisch zu vertreten gesucht hat. ln meinen im Wintersemester xßgojgt an der Wiener
Universität gehaltenen Vorlesungen habe ich übrigens in ähnlicher Weise wie Goodyear,
nur weiter hinausgreifend in das Mittelalter und in die neuere Zeit, eine i-Geschichte der
Ornamentik- zu entwerfen gesucht. Natürlich haben mich meine diesbezüglichen Unter-
suchungen vielfach zu anderen Resultaten geführt, was zu zeigen mir in einer im Zuge
befindlichen Veröffentlichung der Hauptgedanken, die ich in jenen Vorlesungen aus-
gesprochen habe, bald Gelegenheit geboten sein wird. Namentlich vermag ich mir den
extremen Standpunkt Goodyeafs nicht anzueignen, der z. . auch in gewissen Motiven
der nordischlprahistorischen Kunst, die wie das Zickzack als bloße lineare Schemen von
Rhythmus und Symmetrie, als das erste Kunstlallen des primitiven Menschen sich dar-
stellen, Abhängkeit von ägyptischen Vorbildern vermuthet. Diesbezüglich hätte die Lectüre
Semper's dem Verfasser sicherlich von aufklärendem Nutzen sein konnen. Weitere Differenz-
punkte zwischen der meinigen und Goodyearä Auiassung betretfen den Sonnencultus,
dessen Bedeutung für die Gemeinsamkeit der antiken Ornamentiken Goodyear mir weit
über alles Nachweisbare hinaus zu überschätzen scheint, ferner den echt hellenischen Kern
in der mykenischen Ornamentik, wofür sich in der Kunst des antiken Orients keine
Vorbilder finden und dessen Vorhandensein Goodyear vollständig übersieht. Dagegen
verdanken wir Goodyear auch eine ganze Reihe von grundlegenden Aufklarungen im
Einzelnen; icb erwähne blos die Eruirung derjenigen Pflanze, die den Lotustypen der
altagyptischen Kunst zu Grunde liegt und die man bisher einstimmig ganz falsch bestimmt
hat, ferner die Streichung des Papyrus aus der Zahl der Ornamente, aufGrund desNachweises,
dass das sogenannte Papyrusprofil nichts anderes ist als eine bestimmte Abart des Lotus-
proüls, deren Entstehung sich ganz ungezwungen erklaren lässt. - Wie es sich bei einem
Werke der gekennzeichneten Tendenz von selbst versteht, erscheinen die aufgestellten
Behauptungen zugleich durch Abbildungen erläutert, die 67 Tafeln füllen und sich auch
im Texte zahlreich eingestreut vorfinden. Rgl.
O
Altäre und Sculpturen des Münsters zu Salem. Photographiscli anf-
genommen und herausgegeben von Otto Aufleger. 20 Bl. Licht-
druck. (Süddeutsche Architektur und Ornamentik Bd. Vl.) München,
1892, L. Werner. M. 20.
Die ehemalige Cistereienser Reichsabtei Salem bei Ueberlingen besitzt in ihrem
gothischea Münster eine Innenausstattung aus Marmor und Alabaster, welche aus dem
Ende des vori en Jahrhunderts stammend, also im Stile Ludwig XVl. ausgeführt, mit
der mittelalterlichen Architektur des Gotteshauses zwar fremdartig contrastirt, an eleganter
Vornehmheit aber dadurch nichts einbüßt. An Pfeilern und Wänden der Kirche befinden sich
regelmäßig vertheilt Grabmller und Altare, zumeist Arbeiten des Bildhauers Johann Georg
Dur r, geb. zu Weilheim in Oberbayern, welche vortremiche Zeugen für den Uebergangsstil
zum Empire bilden. Voll koketten Reizes in ihren noch an das Rocnco geinahnenden
Formen und gleichzeitig nicht ohne Härte und Sprödigkeit unter dem Eintiusse des be-
Jahrg. _r89z. 9