so ferner Vergangenheit, sondern weit näher zu suchen haben. Viel wahr-
scheinlicher erschien es, dass die letzte gemeinsame Cultur der euro-
päischen Völkerschaften die Quelle dieser Motive war und nicht jene ferne,
und ich sprach deshalb bei Gelegenheit des Vortrages, welchen ich vor
drei Jahren über diesen- Gegenstand im Oesterr. Museum hielt, die Ver-
muthung aus, dass all dies das Erbe der classischen Cultur sein dürfte,
das uns theils von den Römern selbst, theils durch Vermittlung der
Byzantier zugefallen ist. Diese meine Vermuthung wurde zur Ueber-
Zeugung, nachdem ich Gelegenheit gehabt hatte, die Menge jener Funde
aus dem 3. bis zum 9. Jahrhundert zu studiren, welche Theodor Graf
in El-Faijum in Egypten gemacht und Prof. Karabacek erklärt hat"). Es
sind dies vollständige Röcke, Textilfragmente, Tücher, Kopfschleier, Gürtel,
Kopfbedeckungen, Webereien, Spitzen, genetzte und gestrickte Gewänder,
und auf allen eine auch in der Farbe sehr gut erhaltene Ornamentik.
Diese Sammlung, einer der glücklichsten Funde aus dem Alterthume,
deckte uns mit einem Male das Geheimniss des Ursprunges der Haus-
industrie bei allen Völkern auf, welche in den Bereich der römischen
und byzantinischen Cultur traten, und auch jener, welche, wenn auch
räumlich getrennt, mit den Culturvölkern des Südens Europas in leben-
diger Handelsverbindung standen. Beweis dessen sind namentlich die
Ornamente.
Schon die Ornamente aus der Planzenwelt führen uns auf diese
Ansicht. Die Granatblüthe und die Tulpe hielten einige Schriftsteller in
neuerer Zeit für ein charakteristisches Merkmal magyarischer Ornamentik,
aber es ist die eine wie die andere Blüthe sowohl in der rumänischen
als in der slavischen Ornatnentik gleich beliebt, obwohl weder die Tulpe
noch die Granate in den Wohnsitzen dieser Völker verbreitet und beliebt
ist; denn die Tulpe ist in den Gärten dieser Nationen, welche sie für
die Stickerei acceptiren, eine Seltenheit, und die Granate ist gewiss allen
Stickerinnen dieser Völker gänzlich unbekannt. Der nächste und natür-
lichste Schluß ist in diesem Falle gewiss der, dass ein solcher Schmuck
nur durch Tradition zu einem Volke, das in der Natur kein Beispiel
desselben vor sich sah, gekommen sein konnte, und diese Annahme wird
zur unumstößlichen Gewissheit, wenn wir sehen, dass diese Blume und
Frucht bei einem anderen Volke, mit welchem wir in Berührung kamen,
sowohl in der Natur als auch im Ornament verbreitet war und besondere
Bedeutung besaß. Der Granatbaum war in der griechischen Mythologie
als Svmbol der Fruchtbarkeit der Hera, der Beschützerin der Ehefrauen,
der l-rlüterin des Ehebundes, heilig. Nur ausnahmsweise hielt in einem
Tempel auch Athene einen Granatapfel in der Hand und dies als Göttin,
welche den Streit beendet, aus dem die Männer zu ihrer Farriilie zurück-
') Kurabacek, Die Theodor GraFschen Funde in Aegypten etc. Wien r883.
Dem, Katalog der Th. GraPschen Funde in Aegypten. Wien 1883.