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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe VI (1891 / 9)

kehren"). Die Fruchtbarkeit in der Ehe hatte dasselbe Symbol auch bei 
den alten Römern, und wie sehr es allgemein verbreitet, und als Schmuck 
beliebt war, beweist uns der Umstand, dass es auch in die altchristliche 
Kunst überging, und im Wege dieser, wieder als sehr verbreitetes Orna- 
ment auch in alle Gewebe des Mittelalters. Die Renaissance selbstver- 
ständlich verwendet das clasische Ornament mit besonderer Vorliebe. 
Der Granatapfel auf den burgundischen Brocaten, drap d'or, ist ein sehr 
gern und oft verwendeter Zierrat. Die Continuität in der Erscheinung 
dieses alten Symbols illustriren die alten Fragmente der textilen Kunst 
aus den Funden von El-Faijum nur auf's Neue. Nichts berechtigt daher 
zu der Annahme, dass dieses Ornament eine besondere Eigenthümlichkeit 
irgend eines gegenwärtig lebenden Volkes sei. 
Ebensowenig kann die Tulpe als besonders charakteristisches Merk- 
mal der Kunst eines Volkes betrachtet werden. Die Form des Lotos 
vollkommen identisch mit der Form der stilisirten Tulpe, ist bei den 
indischen, egyptischen und im Allgemeinen allen orientalischen Völkern 
verbreitet und ging auch in die griechische Kunst über. Beweis dessen 
sind die Ornamente am Theseustempel in Athen. Auch dieses Ornament 
hatte, namentlich mit Rücksicht auf den Todtencult, bei den antiken 
Völkern eine hohe symbolische Bedeutung, während es heutzutage eine 
solche weder in der magyarischen Ornamentik, noch bei uns besitzt. Es 
ist daher wahrscheinlich, dass der uralte und in der Hausindustrie der 
mitteleuropäischen Völker eingebürgerte Lotos den Namen der Tulpe erst 
dann erhielt, als diese die letztgenannte Blume kennen lernten, jedenfalls 
aber, dass sie ein der Tulpe ähnliches Ornament bereits früher verwen- 
deten, als die Cultur der Tulpen bei ihnen heimisch wurde. Dies wäre 
unverständlich, wenn nicht durch eine ununterbrochene Tradition aus der 
classischen Zeit der byzantinische Einfluss sich nachweisen ließe, welcher 
von dem Email der Königskrone bis zu den Mustern der Bauernkleider 
ebensowohl beim magyarischen Volke, wie bei den slavischen und beim 
rumänischen Volke Granate sowohl als Tulpe immer wiederkehren lässt. 
Schon Semper zeigte, wie das vegetabilische Ornament in das schriftliche 
übergehe 5), als Metamorphose der bildnerischen Darstellung in Mauer- 
schrift; ausführlicher und gründlicher erörterte dies Karabacek in seiner 
Schrift über den uralten orientalischen Teppich, welchen der bereits 
erwähnte Theodor Graf aus Mekka gebracht hatteß). Nach demselben 
Principe, durch dessen Anwendung dieser Gelehrte von dem Teppich 
ganze Verse aus dem Koran herablas, hat er aus den Ornamenten der 
griechischen Gewebe aus der GraPschen Sammlung die Buchstaben I", 
4) Pausnnias 5, 33. 
') Semper, Der Stil. Tub. I. München 1878. - Vergl. Owen Jones, Gram. of 
Ornnm. T. XIX, f. 20. London 1868. 
') Karubacek, Die persischelludelmalerei Susanschird. Leipzig 133:.
	        
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