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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe VI (1891 / 9)

Aber nicht minder deutlich als die religiösen Ueberzeugungeu unserer 
Zeit kennzeichnet der Obelisk unser Verhältniss zur Kunst. Wenn wir die 
Straßen des Friedhofes abgehen und nach Hunderten von kostbaren 
Obelisken kaum ein Grabmal zählen, das eine Anleihe an die Kunst 
macht, ist dieses statistische Verhältniss eine geradezu niederschmetternde 
Stichprobe für die Werthschätzung, welche unsere Kunst genießt, ein 
monumentaler Beweis, dass sie nicht Herzenssache unserer Zeit ist. Man 
umgibt sich rnit ihren Werken, weil sie den Lebensluxus erhöhen, man 
beschäftigt sich -- wenn wir absehen von jenen gewöhnlichen Fällen, 
wo das Interesse für sie nur eine grobe Bildungslüge ist - mit ihrer 
Geschichte in dem ehrlichen Streben, die Gesetze des Werdens und Ent- 
stehens auch auf diesem Gebiete zu erforschen. Aber flüchtet man zur 
Kunst als einer Trösteriu in den Zeiten des Schmerzes und des Un- 
glückes? Gerade von jener Stelle, wo sie ihre versöhnende Kraft aus- 
üben sollte, verbannt man sie und eben derselbe Mensch, der sich im 
Leben sein Heim mit ihren Schöpfungen vollgefüllt hat, wählt für sein 
letztes Heim als einzigen Schmuck die Kunstlosigkeit, weil er fürchtet, 
dass an jener ernsten Stelle, die Aufrichtigkeit und Wahrheit abzwingt, 
die Kunst nichts anderes sagen könnte, als eine Phrase in Stein. 
in directem Gegensatze zum Obelisken steht eine Gattung von Grab- 
mälern, die in ihren gothisirenden Formen ein gemeinsames Kennzeichen 
trägt und als Typus des Grabmales der Frommgläubigen gelten darf. 
Sowie die Kirche in unserem Jahrhundert mit Vorliebe für ihre Bauten 
auf einen Stil zurückgreift, der mit antiken Elementen noch nichts zu 
thun hat, dem modernen Geistesleben, das mit dem Auftreten der Re- 
naissance seinen Anfang nimmt, also fremd gegenüber steht, so versetzt 
sich der fromme Sinn auch außerhalb der Kirche noch gerne in die 
Formenwelt der imponirenden Kathedralen des 13. und 14. Jahrhunderts 
zurück und entnimmt ihnen, meist ohne jedes tiefere Verständniss, 
die künstlerischen Motive. Diese Denkmäler ergehen sich in allen Formen 
gothischer Steinmetzarbeit vom einfachen abgeschrägten und abgekanteten 
Pfeiler, der in flacher Nische den Gekreuzigten, ein Marienbild oder eine 
andere religiöse Darstellung trägt, bis zum filigrangezierten thurmartigen 
Aufbau und zur vollständigen gothischen Kapelle. Hier wie dort bildet 
die Architektur die Hauptsache, Sculptur oder Malerei wird mehr noch 
wie jene handwerksmäßig durchgeführt. Auch in dieser Art von modernen 
Grabmälern spricht sich der Charakter des Verstorbenen deutlich aus. Ihm 
gilt die Kunst mehr als dem Verehrer des Obelisken, aber der zeitge- 
nössischen Kunst steht er so ferne wie den leitenden Ideen der Gegen- 
wart oder er glaubt, dass ihr der Ernst zur Lösung der von ihm gestellten 
Aufgabe fehlt. Er sucht auch nicht die Kunst an sich und empfindet 
keine wahre Liebe für sie, sie ist ihm nur die dienstfertige Sclavin seiner 
religiösen Anschauung. (Fortsetzung folgt.)
	        
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