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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe V (1890 / 2)

RalTaeFs befunden hätte, die denselben Gegenstand wie der Stich Mar- 
canton's zur Darstellung brachte, aber mit gewissen starken Abweichungen, 
die zur Annahme zwingen, Marcanton habe diese Zeichnung nicht benützt, 
ja höchst wahrscheinlich gar nicht gekannt. Die wesentlichste Abweichung 
hatte darin bestanden, dass in dem von Delaborde bemängelten leeren 
Raume zwischen den beiden Leitern eine weitere Figur eingefügt war, 
die den herabsinkenden Leichnam von unten in Empfang nahm und auf 
diese Weise den Johannes entlastete. Die übrigen Abweichungen bezogen 
sich im Wesentlichen auf die Köpfe der Figuren, und erschienen Zani 
ebenso wie jene Vermehrung der Figurenzahl als Verbesserungen gegen- 
über dem Stiche des Marcanton. Der Hintergrund enthielt nach Zani 
blos allgemeine Andeutungen des Landschaftlichen (un monte appena 
toccato con alberetti pittorici). Diese Zeichnung, von der Zani ganz be- 
geistert ist, und in deren Ursprung von der Hand RaffaePs er keinen 
Zweifel setzt, ist seither leider verschollen. Augenscheinlich steht sie 
außerhalb der Copien, die sich an den Stich Marcanlon's und an Ugo 
da Carpi's Clairobscur anschließen. Dies spricht zu ihren Gunsten, und 
Passavant (Vl. 14) hat sie auch unbedenklich als Vorlage für Marcanton's 
Stich erklärt, was aber nach Zani's Worten wenig wahrscheinlich ist. 
Auch das Verhältniss des Clairobscurs von Ugo da Carpi zum Mar- 
canton'schen Stiche ist nicht ohne Weiteres als dasjenige einer unmittel- 
baren Entlehnung des ersteren aus dem letzteren aufzufassen. Unter den 
Eigenthümlichkeiten des Clairobscurs ist besonders der Umstand auf- 
fallend, dass der Mann unten auf der rechten Leiter nicht den Kopf 
zwischen den Sprossen durchsteckt, sondern den Oberkörper von Außen 
um die Leiter herumbiegt, was von künstlerischem Standpunkte dem Zer- 
schneiden des Kopfes durch die Leiter vorzuziehen ist. Die oben erwähnte, 
von Prestel veröffentlichte Zeichnung, die in den meisten Dingen mit 
dem Clairobscur übereinstimmt, zeigt doch wieder Abweichungen (Kopf 
der stützenden Maria), die sie mit dem Marcanton'schen Stiche gemein 
hat. Alle diese Umstände führen zwar zu keiner Aufklärung des ur- 
sprünglichen Verhältnisses, erhöhen aber die Wahrscheinlichkeit, dass die 
aus späterer Zeit bekannt gewordenen mehrfachen Umbildungen des 
Thema's keineswegs alle den Stich des Marcanton zum alleinigen Aus- 
gangspunkte haben, sondern zum Theil von verschiedenen Zeichnungen 
aus RaffaePs Schule und vielleicht auch RaffaeVs Zeit abzuleiten sind, 
deren Ursprung in letzter Linie auf die Studien RaffaePs zum Bilde für 
die Atalanta Baglioni zurückzuführen wäre. 
Eine befriedigende Aufhellung dieser Frage ist nur von zwei Seiten 
her zu erwarten: von etwaigen Entdeckungen verschollener Raffael-Zeich- 
nungen, die mit dem Gegenstande in Zusammenhang stünden - was 
freilich nur Sache eines glücklichen Zufalls sein könnte - und von einer 
gründlichen Untersuchung über die RaEael-Schule, die heute keineswegs
	        
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