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knabehen sein konnte, welches die sizilianische Dichterschule aus der spatlateinischen
Poesie übernommen hatte. Die Damen jener Dichter wurden beständig in Bezug auf
Gestalt und Gehaben mit einem Engel verglichen und zu dieser ndonna angelicatan
mochte jenes mythologische Spielzeug schlecht 'passen. Aber noch mehr, Dante, dem '
Beatrice das directe Modell für einen Engel, welchen er zeichnete, abgab, lasst Amor
diese Frau mit seinem eigenen Namen benennen, weil sie ihm, dem Gott, so gleiche. Er
sucht sich nun eine Vorstellung von den Engeln zu verschalfen, wie sie zu jener Zeit gemalt
und gemeißelt wurden, um daraus auch das Bild Amors zu gewinnen. Und wirklich
zeigt sich bei einer Durchsicht der beschreibenden Stellen bei Dante und seinen Genossen,
dass der Amor ihrer Gedichte in Gestalt und Tracht mit Giottcfs Engeln identisch ist.
ln dem beständigen Kampfe antiker Ueberlielerung mit moderner Erfindung, der den
ganzen Verlauf der italienischen Kunst beherrscht, überwältigt die erstere die hohe
Gestalt Amor's, wie sie dem inneren Auge des Dichters der Komödie vorgeschwebt, nur
zu bald, und schon bei Petrarca tritt der antike Amor wieder auf. Durch Poesie und
Kunst des italienischen Mittelalters schreiten am Beginn sowie am Schlusse die abge-
nutzten Amoretten des Alterthunns, auf seiner Höhe aber hatte jener Amor Dante's ge-
wandelt, wenn auch nur in der Phantasie lebend, als würdiger Genosse der geheimniss-
vollen Gestalten, welche die großen Maler Toscana's geschaEen. nEr enthüllte sich uns.
- schloss der Vortragende -- nals ein absonderliclies Beispiel von Wandel und Wechsel
künstlerischer Typen. Eine Figur des semitischen Mythos hatte im Laufe der Zeit die
Gestalt der hellenischen Nilte angenommen, und wieder nach achthundert Jahren diese
Hulle einem Wesen geliehen, das nichts Anderes war, als jener Eros, den Nike in längst
vertraumten Jugendtagen auf seinem Siegesliuge begleitet hatteh
Litteratur - Bericht.
Die hellenistischen Reliefbilder. Mit Unterstützung des königl. sächsischen
Ministeriums des Cultus und öffentlichen Unterrichtes und der philo-
logisch-historischen Classe der k. sächsischen Gesellschaft der Wissen-
schaften herausgegeben und erläutert von Theodor Schreiber. Leip-
zig, Wilh. Engelmann. Liefg. 1 u. z. Gr.-Fol. a M. 20.
Schon im Jahre 1880 veröffentlichte Schreiber in der archäologischen Zeitung einen
Aufsatz, in welchem er das Wesen des hellenistischen nReliefbildesn kurz charakterisirte;
vertieft, erweitert und zum Theile verändert erscheinen die Resultate dieses Aufsatzes
in dem Buche wdie Wiener Brunnenreliefs aus dem Palazzo Grimaniu, Leipzig 1888, in
welchem hauptsächlich der Nachweis versucht wird, dass die Heimat der Reliefbilder
Alexandria sei. Das Werk, welches nun in die Oetfentlichkeit tritt, als Abschluss lang-
jähriger Studien, ist ein Atlas, eine Publication aller Denkmller, die Schreiber unter
jenem Namen zusammenfasst.
Da wir in Nummer z des Jahrganges 1889 der sMittheilungenc über das Werk, die
Brunnenreliefs aus Palazzo Grimani referirt und Schreibers Ausführungen: über jene
Monumentenclasse im Auszuge wiedergegeben haben, konnen wir uns hier beschränken,
zu wiederholen, dass die Reliefbilder eine in hellenistischer Zeit im Zusammenhange mit
einem neuen Systeme der Wandverzierung entstandene Gattung von Reliefs sei, die, wie
sie bestimmt war das Wandgemälde zu ersetzen, auch den Charakter desselben annahm,
mit einem Worte malerisch ist.
Die bis jetzt erschienenen zwei Lieferungen des neuen Werkes mit zusammen
zo Tafeln enthalten durchwegs Haupiwerke der Gattung: an erster Stelle, wie gebahrend,
die Wiener Brunnenreliefs, dann auf Tafel lll-X den berühmten Cyklus aus Palazzo
Spada, auf Tafel Xl-XX andere nicht minder wohl bekannte Werke aus Villa Albani,
dem Museo Capitolino und Palazzo Colonna, unter ihnen die reizvollen Reliefs mit Perseus,
der die Andromeda vom Felsen leitet und dem schlafenden Endymion. Tafel l-ll ver-
treten das Genre, in dem die hellenistische Kunst sich so schöpferisch erwies, die übrigen
führen uns in mythologisches Gebiet. - Die Reproduction erfolgte in sauberen, im Tone
nur zu gleichmäßigen und zu braunen Heliogravuren von Dujsrdinijeder Tafel geht auf
einem besonderen Blatte eine Umrisszeichnung des betreffenden Bildwerkes voraus, in welcher
die Ergänzungen durch Schratfirungen, die Ueberarbeitungen durch Punktnetzüberdruck
angegeben sind, eine Einrichtung, die gerade nicht sehr gefällig, aber unleugbar praktisch
ist, da sie rasch und bequem über die wichtige Frage nach der Erhaltung jedes Reliefs
Aufschluss gibt. Von dem Texte ist bis jetzt noch nichts erschienen.