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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe V (1890 / 4)

mit den Reliquien der Martyrer aus den Katakomben in die Oberkirche übertragen 
wurde. Auch dort, wo eine christliche Kirche nicht über einem Martyrergrabe erbaut 
wurde, musste der Altar die Reliquien eines heiligen Blutzeugen bergen. Die jetzt noch 
übliche Consecration eines Altares erinnert an die Beisetzung der Martyrerleichen. Da 
die Kirchenkrypta die eigentliche Katakombe ist, nannte man in den ersten Jahrhunderten 
die Kirche schlechthin Martyrium oder Confessio. So haben zum Baue der katholischen 
Kirchen Judenthum und Heidenthum die Bausteine geliefert. Ersteres gab der Kirche die 
Krypta, das letztere die Grundlinien der Basilika, das Christenthum aber hauchte in den 
heiligen Mysterien den Geist ein. Die römische Katakombe wurde auch die Wiege der 
christlichen Kunst, deren Grundzüge naher angeführt werden. Schließlich weist der Vor- 
tragende auf das Grab Christi hin, welches schon in der constantinischcn Basilika den 
Hauptallar unter der Bezeichnung Anastase, das ist der Ort der Auferstehung, bildete. 
Und wie aus dem Grabe Christi und von den Grabern der Märtyrer neues Leben über 
die Menschheit ausgeht, so stromt auch neue Gnade von den christlichen Altaren über 
die kranke Menschheit aus. Diesem christlichen Gedanken entsprechend wurden von 
jeher die Leichen der Christen um die Kirche herum bestattet, der Friedhof wurde zum 
Kitchhofe, und selbst wo dieses nicht stattfindet, richtet die Kirche in den Begräbniss- 
orten eine Kapelle oder wenigstens als Surrogat das Kreuz, die Hoffnung der Todten, 
auf. Die schönste Inschrift eines christlichen Friedhofes ist demnach das Wort: 
Resurrecturis. 
-- Den 27. Februar und 6. Marz sprach Directnr Dr. Albert llg über oDie Ent- 
wickelung der Kunst in Oesterreich während des 17, und 18. Jahrhunderts, mit beson- 
derer Rücksicht auf jene der Architektunu 
Der Vortragende betonte Eingangs, dass er nicht eine geschichtliche Darstellung 
zu geben beabsichtige, sondern nur den Versuch machen wolle, zu zeigen, auf welch' 
vieltaltige Weise jenes unendlich bunte Mosaik von Erscheinungen in Oesterreich zu 
Stande gekommen sei, welches wir üblicherweise mit dem in jeder Hinsicht nichts- 
sagenden Worte nBarocke- zu bezeichnen gewohnt sind. Sein Vorhaben war, das höchst 
zersplitterte und wirre Geader aufzudecken, aus dem sich allmslig der stolze Strom 
bildete, und dabei anzudeuten, aus welchen Quellen die einzelnen Zußüsse herltlmen. 
Aus dieser charakterisirenden Schilderung ergab sich, dass diese sogenannte Barocke 
eigentlich das wunderlichste Stil- und Kunstchamaeleon der Welt, voller Gegensätze, ja 
Widersprüche ist, so dass unter jener hergebrachten kunstwissenschaftlichen Flagge in 
der That Producte aus aller Herren Länder nicht_ nur, sondern auch Waaren der hete- 
rogensten Gattung geführt werden. lm chronologischen Folgegang wurde nun an bezeich- 
nenden Beispielen dargethan, wie in Oesterreich unter den beiden letzten Ferdinandeti 
im Gegensatz zur wachsenden Ueberladung der auslaufenden deutschen Renaissance, zum 
Unterschied von deren bombastischern Putze, wie er besonders an den deutschen Stltten 
des Protestantismus gedieh, in Klosterbauten neueingeführter Orden aus dem Süden eine 
auffallende Nüchternheit und Schmucklosigkeit ihren Einzug halt. Die oh ihrer Ueppigkeit 
verrufene Barocke beginnt mit den öden, kahlen Kirchenhauten der Capuciner und Car- 
meliter, an denen auch noch manches Stückchen kindischer deutscher Renaissance haften 
blieb. Dieselbe Gegenreformation durch den Katholicismus sollte freilich alsbald in's Extreme 
des schrankenlosesten Formenreichthums überspringen, geradeso wie ja auch Fanatismus, 
Verzuckungen, Visionen im geistlichen Leben jener Zeit mit Abtodtung, Geißelungen 
und anderen Selbstqualen aneinander grenzten. Aus der tendenziös strengen, zierver- 
schmahenden Klosterarchitektur der walschen Mönche hatte sich indess auf unserem 
Boden kaum ein fruchtbarer Keim entwickeln können; bald drangen aber auch die Pion- 
niere der profanen südlichen Architektur über unsere Alpen herüber. Der Vortrag stellte 
eine Parallele zwischen dieser italienischen lnvasion in der zweiten Halfte des I7. Jahr- 
hunderts an und der früheren zu Anfang des 16., welche aus ganz anderem Anlasse und 
auf völlig verschiedene Weise uns die ersten Blüthen der Renaissance gebracht hatte, 
verschiedene, wenngleich der uralte Wanderzug und -trieb der Oberitaliener nach dem 
Norden beide Male das Mittel dazu hergab. Diese Befruchtung von Süden her zeigt aber 
sehr von einander abweichende Strömungen und Färbungen. Als die hervorragendsten 
wurden da charakterisirt: Die Cotnaskisch-lllailändische, besonders durch die große 
Familie der Carlonc-Carnevale vertreten, von vorwiegend ornamental-decorativer Tendenz 
durch das Mittel des Stuccds, in dessen Gefolge das Deckenfrescö in verzierten plastischen 
Rahmen (Tencala, Turriani) seinen Einzug halt. Rein architektonisch, jedoch mit dem 
Wesen einer ziemlich extravaganten Bizarrerie der Formensprachekist die besonders für 
Prag wichtige Richtung der unter dem Scepter des launischen Guarini stehenden_'l'uriner; 
Venedig gewinnt erst im 18. Jahrhundert und mehr für die Maler als für die Archi- 
tekten der osterreichischen Barocke Bedeutung. Dagegen gaben die Bolognesen für das- 
jenige, was im architektonischen Sinn malerisch heißt, den Ton an, mit einer höchst 
bestimmt ausgesprochenen Betonung des Theatralischen und der eigentlichen Theater- 
Jahrg. tigo. 8
	        
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