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zeichnung, ganz abgesehen von der technischen Mangelhaftigkeit dieser
Erzeugnisse im Vergleiche zu den ihnen vorhergegangenen.
Ich habe, so lange von der Renaissance die Rede war, bisher blos
italienischer und französischer Bucheinbände erwähnt; aber diese stehen
auch oben an und lassen Alles, selbst das Beste, was Deutschland ge-
leistet, hinter sich.
Vor Allem muss bei den deutschen Erzeugnissen auffallen, dass
selbst die hervorragendsten unter ihnen in der Regel keine reinen Hand-
vergoldungen sind, sondern mittelst Stanzen hergestellte Eck- und Mittel-
theile aufweisen. Es lässt sich aber kein größerer Contrast denken, als
diese beiden Techniken so unmittelbar und naiv nebeneinander gestellt!
Die künstlerische Einheit mangelt deshalb einer solchen Decke vollständig.
Auch hinsichtlich der Detailbildung, insbesondere in Bezug auf den
ornamental-richtigen Stempelansatz an den Bogendruck, erreichen die
deutschen Arbeiten keineswegs ihre französischen Vorbilder. Dagegen
muss eine fast durchaus gute ornamentale Flächentheilung und correcte
technische Behandlung den meisten deutschen Einbänden zuerkannt werden.
Für Deutschland bedeutet der 3ojährige Krieg den Verfall auch in
der Buchbinderei, deren Blüthezeit, da sie erst mit der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts ihren Anfang nimmt, in Deutschland kürzer währt als
in Frankreich. Zwar machen sich Anzeichen einer neuen naturalistischen
Richtung noch später bemerkbar, aber dieser deutsche Realismus ist von
bäuerlich-roher Ausgestaltung und steht weit hinter dem eines Eve zurück.
Von einem wirklichen Neuaufschwunge kann erst nach langer trost-
loser Unterbrechung in unserer Zeit die Rede sein. Aber auch diesmal
eilt dem Deutschen Reiche Frankreich (neben ihm wohl auch England)
voran, in welchen Ländern seltsamerweise deutsche Meister, wie Purgold
und Trautz in Paris, Zähnsdorf in London, der Buchbinderei zu den
schönsten Erfolgen verhelfen, lange bevor Leipzig seine bekannte gegen-
wärtige Führerrolle in Deutschland angetreten hat.
In Wien fällt der Anfang einer höchst beachtenswerthen, ja in
unserenTagen hervorragend gewordenen Entwickelung derßuchbindereiund
Lederwaarenfabrication in die Fünfziger Jahre, somit in jene Zeit, welche
für den gesammten kunstgewerblichen Aufschwung in Oesterreich be-
stimmend war. Da ist vor Allem Ch. Girardet zu nennen, dessen Be-
ziehungen mit Paris deshalb von dem größten Einflusse wurden, weil er
bei seinen Arbeiten die vortreElichen französischen Stempel zur Verwen-
dung brachte.
Für Girardet zeichnen Künstler wie Van der Nüll, J. Storck,
Hieser senior. Nach Girardet sind, der Zeitfolge nach, zunächst sein
Schüler Habenicht (T), welcher durch die Anwendung der Handver-
goldung auf die Meerschaumwaare eine ebenso originelle als stilfeine
Neuerung bringt, dann F. Rollinger, dessen Firma noch heute des-
selben Rufes sich erfreut wie in jener Zeit, Wunder und Kölbel