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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe V (1890 / 7)

Baume kehren, als wollten sie den viel kleineren Gestalten, die auf den 
Aesten des Baumes aufwärts klettern, nach. Fast haben die Männchen 
den mittleren, aus Astgewinde bestehenden Nodus erreicht; im oberen 
Theile des Ständers, über diesem Nodus, aber sitzen Vöglein und picken 
an den Trauben, die zwischen dem Laube sichtbar sind. Den abschlie- 
ßenden Knauf unter der Tropfschale zieren Masken. Zu oberst die Eidechsen, 
die, wie neugierig, am Rande der Schale das Licht bestaunen. Flinker 
als die Menschen unten, haben sie den Rand erreicht. Freilich ist es 
fraglich, ob der Mensch überhaupt sein Ziel dort oben hat, oder 0b er 
nicht den Vogel haschen will, der oben sorglos pickt. Die Eidechsen aber 
sind dem Lichte nachgestrebt und haben es schon fast erreicht. So sollte 
eigentlich es auch der Mensch thun und nicht dem Irdischen nachjagen. 
- Hat S. Bernwardus den jetzt im British Museum, Harley 2788, auf- 
bewahrten Codex gekannt und zum Vorbild genommen? Hier finden 
sich auf den letzten Canones-Tafeln jene sonderbaren Säulen, um deren 
Schaft sich weiße Ranken winden, mit herumkletternden, traubenlesenden, 
kleinen Gestalten. Von da ist nur ein Schritt zu den sich windenden 
Stämmen der S. Bernwards-Leuchter. 4 
Nicht der Guss als solcher, auch nicht der Gedanke, die Säule 
als Kerzenträger zu- verwenden, sondern der Versuch, ganze Gedanken- 
reihen in plastischer Gestaltung durch Werke des Gusses und der Cise- 
lirung zu schaffen, das war die erste Blüthe der Kunst, von der 
unser S. Bernwardus spricht. Und wie roh die Gestalten waren, das 
wohl drücken sie aus, was sie sollen: das Aufwärtsstreben oder die Ruhe, 
oder den Zustand der Niederlage (Drachen). 
Für solche plastische Gestalten gab es kein byzantinisches Vorbild; 
da ja Byzanz die Plastik als zum Heidenthum zurückführend fürchtete 
und von der hohen Kunst ausschloss. Und wenn auch Bernward an Dip- 
tychen noch eine Ahnung des Plastischen fand, seine ganze Richtung 
führte ihn fort auf die eigenen Wege, auf denen schließlich, aber erst 
nach langem Ringen, wirklich ein nationaler} Stil sich entwickelte. lnso- 
ferne stehen mir die drei in ronde bosse gearbeiteten Figuren dieses 
Leuchters höher als fast Alles, was Bernwardus an seinen reichsten Arbeiten, 
den Flügelthliren und der Christussäule, geliefert hat. 
Denn sehen wir die Sache genauer an, so sind doch die Darstellungen 
dieser letzteren Werke eigentlich nur Miniaturen in Bronzelguss übertragen; 
oder sie sind Elfenbeintafelbildet, wie sie ja in Byzanz damals 
nicht mehr verboten waren, in's Große übertragen, aneinander gereiht 
und in Erzguss ausgeführt. Sie gehören dem Grenzgebiete an, wo die 
Plastik und das Zeichnen in der Fläche concurriren. Und es mag fraglich 
bleiben, ob nicht manche der Darstellungen, statt in Erz als Relief aus- 
geführt zu sein, besser sich in ganz Hacher Zeichnung ausnehmen würde. 
Aber solche Erwägungen kannte Bernwardus nicht, als er die beiden 
Thüren und die Christussäule für S. Michael schuf.
	        
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