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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe V (1890 / 10)

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gebrauchte. Ja, wir müssen uns hiebei sogar noch immer die Frage offen 
halten, ob wir es wirklich in allen solchen Fällen mit einem Vorbilde 
echt orientalischer Herkunft zu thun haben. Wir werden nämlich sehen, 
dass sich Technik und Ornamentik der orientalischen Teppiche selbst in 
gewissen abgelegenen Landschaften Europa's aus früheren Jahrhunderten 
bis in unsere Zeit hinein erhalten haben. Gehen wir aber noch weiter 
zurück, bis in die Antike. Die Schriftsteller der römischen Kaiserzeit 
sprechen so häufig und mit solchem Nachdruck von orientalischen 
Teppichen, dass wir gar nichts Anderes denken können, als dass auch 
mindestens in späterer antiker Zeit die Europäer ihren Bedarf an 
Teppichen hauptsächlich durch Import aus dem Orient gedeckt haben 
müssen. Und doch wird man in hellenistisch-spätrömischer Zeit, wenn 
auch von vielfacher Beeinflussung von Sitten und Kunst, jedoch keines- 
wegs von einer beabsichtigten kunstgewerblichen Reformirung durch den 
Orient reden dürfen. 
Also die Ursache unserer ererbten Vorliebe für die orientalischen 
Teppiche muss wo anders liegen, als in dem heute plötzlich erwachten 
Bewusstsein von der Geschmacklosigkeit unserer eigenen Teppichfabricate 
aus der neueren Zeit. Darauf weist auch noch der Umstand hin, dass 
wir noch heute, trotzdem unsere Teppichfabriken in Folge des An- 
schlusses an die moderne Geschmackreform mitunter stilistisch und farbig 
ganz vortreffliche Fabricate liefern, noch immer den größten Werth 
darauf legen, einen echten orientalischen Teppich zu besitzen. Man 
könnte zwar, soweit es sich um die heutigen Verhältnisse handelt, die 
allgemein verbreitete und künstlich genährte Begeisterung für antiquarische 
und exotische Dinge dafür verantwortlich machen. Dürfen wir aber bei 
unseren Vorfahren im 15. Jahrhundert und bei den Spätrömern die gleiche 
Begeisterung erwarten? Nach Allem, was wir über jene Zeiten wissen, 
gab es zwar auch damals wie allezeit gewisse gelehrte Leute, die sich 
für alterthlimliche und fremdartige Dinge interessirten, dass aber die 
ganze Bevölkerung bis zum Kleinbürger herab sich mit exotischem Haus- 
rarh umgibt, während sie mitunter einheimischen von gleicher Güte um 
denselben oder selbst um billigeren Preis erwerben könnte - diese Er- 
scheinung blieb offenbar unserem Zeitalter vorbehalten. Wenn also die 
Spätrömer und die Renaissancemenschen fortwährend orientalische Tep- 
piche verwendeten, ohne aber deren Fabrication im Wege der Nach- 
ahmung selbst in die Hand zu nehmen - von vereinzelten erfolglosen 
Versuchen in dieser Richtung darf vollständig abgesehen werden - so 
gibt es zur Erklärung nur zwei Möglichkeiten: die Nachahmung wurde 
unterlassen, entweder weil man die orientalischen Teppiche nicht nach- 
machen wollte, oder nicht konnte. Das Erstere, also die Annahme, 
dass man die fremden Techniken der orientalischen Teppicherzeugung 
nach den europäischen Kunstländern nicht übertragen wollte, ist von 
Vorneherein abzuweisen. Denn dass man im Abendlande keineswegs
	        
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