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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe V (1890 / 10)

Es erscheint fast wunderbar, wie auf der ganzen Erde die primäre 
Formenbildung ähnlich gestaltet auftritt und wie die ersten Werkzeuge, 
die ersten Ornamente sich zum Verwechseln ähneln. Diese Aehnlichkeit 
erscheint nur bedingt durch die unabweislichen Naturbedingnisse, die bei 
verschiedenen Völkern verschieden waren; im Allgemeinen aber zeigt 
sich von den gleichen Grundbedingnissen ausgehend die gleiche stufen- 
weise Entwickelung, welche bis in die Metallzeit reicht. Also nicht nur 
die allereinfachsten, sondern auch schon die complicirteren Culturgeräthe 
beweisen durch ihre Aehnlichkeit, dass wir von gewissen naturgesetzlichen 
Formenentwickelungen sprechen können, unter denen sich die culturelle 
und künstlerische Vervollkommnung der Menschheit vollzog. 
Zum leichteren Ueberblick möchte ich in der gesammten Formen- 
welt primäre und secundäre Bildungen unterscheiden. Primäre Formen 
sind diejenigen, die als die einfachsten und zweckmäßigsten überall, wo 
Menschen leben, fast gleichmäßig, und zwar immer aus dem einfachsten 
und passendsten Materiale hergestellt wurden. Es ist dies im großen 
Ganzen die Cultur der Steinzeit, die bei uns vor mehreren Jahrtausenden 
geherrscht, in welcher aber einzelne Naturvölker sich noch jetzt befinden. 
Wenn wir die Feuersteinmesser, Lanzenspitzen und Pfeile, die 
Steinäxte und Steinhämmer, die Knochenwerkzeuge und rohen Thon- 
gefäße von unseren Voreltern in Europa, oder die von den Naturvölkern 
der Südsee-Inseln Amerika's oder Afrika's neben einander legen, so werden 
wir kaum irgend einen Unterschied wahrnehmen können, und dürfen 
nach der Gleichartigkeit ihrer Wohnplätze in Höhlen, in Pfahlbauten 
oder in Erdhütten auch noch auf weitere Analogien schließen, welche 
zeitlich und örtlich so weit auseinander liegende Menschengruppen zu 
einer fast ganz gleichen Lebensweise veranlassten. Selbst die Schäftung 
der Holzäxte mit den darin eingeklemmten Steinäxten, die Verbindung 
des Bogens, die Verarbeitung von Bast oder Hanf zu Geweben und 
Stricken ist gleichartig. Aus weitergehenden Vergleichungen sehen wir, 
dass nicht nur die Topfformen, sondern auch die Art ihrer Verzierung, 
die Muster und die angewendeten Farben gleichartig sind; was letztere 
betriEt, so fällt es in die Augen, dass überall nur die drei Farben 
schwarz, roth und weiß zur Anwendung kommen und als die Grund- 
lagen des erwachenden Farbensinnes gelten können. 
Weit wichtiger für das innere Wesen des menschlichen Form- 
sinnes gestalten sich noch die Vergleichungen bezüglich der Verzierungen. 
Diese gehen wesentlich überall nach zwei Richtungen von vorneherein 
auseinander. Die ersten sind immer Nachahmungen von Menschen und 
Thieren, welche typisch so aufgefasst werden, dass von der Figur die 
breiteste Ansicht zur Darstellung gelangt! die vierfüßigen Thiere im 
Profil, das Menschenantlitz en face, ebenso die Eule, der Hirsch- oder 
Ochsenkopf. Gewöhnlich werden nur jene Völker, welche nomadisirend 
leben, keinen Getreidebau kennen und deren Kleidung meist aus
	        
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