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der Luft, ihre Ausführung sei unabwendbar, und wenn Frankreich nicht
darangeht, eine solche Ausstellung in's Leben zu rufen, so wird es
Deutschland oder England thun.
Die Beziehungen der orientalischen Teppichfabri-
cation zu dem europäischen Abendlande.
Von Alois Riegl.
(Schluss)
Wir unterscheiden bekanntlich zwei Hauptgattungen von orientali-
schen Teppichen: gewirkte und geknüpfte. Die gewirkten stehen in Bezug
auf ihre Herstellung so ziemlich auf der untersten Anfangsstufeder tex-
tilen Kunst. In eine ausgespannte Kette werden die Einschlagfäden un-
mittelbar durch die menschliche Hand eingeflochten. Es ist dies die
Technik der Wirkerei, mittelst welcher noch heute die größten textilen
Luxuswerke, die Pariser Gobelins, hergestellt werden: im Wesentlichen
reine Handarbeit. Der Unterschied zwischen solchen gewirkten Teppichen
aus dem Orient, den sogenannten Kilim, und den Gobelins liegt bloß in
der Verschiedenheit der beiderseits dargestellten Inhalte. An den orien-
talischen Kilim ist dieser Inhalt ein rein ornamentaler, häufig auf bunte
Streifen beschränkt, darüber hinaus aber hauptsächlich aus geometrischen
Configurationen zusammengesetzt, wogegen die Gobelins förmlicheWand-
gernälde mit historischen, biblischen, Genrescenen u. dgl. zur Darstellung
bringen. In Bezug auf die praktische Verwendung stimmen Kilim und G0-
belins darin liberein,dass sie beide wenigstens ursprünglich nicht zum Boden-
belag, also nicht als Fußteppiche benützt werden sollten. Doch dient das
Kilim dem Minderbemittelten auch als Unterlage zur Schlafstätte. Die Go-
belins sind im Wesentlichen bloße Wandbehänge, oder wenn in kleineren
Dimensionen gehalten, Rticklaken für Sitzmöbel. Dagegen ist die Verwen-
dung des Kilim als Decke eine weit ausgedehntere. Zurn Bodenbelag
erscheint es in der Regel nur dann benützt, wenn die Einschlagfäden
nicht continuirlich fortlaufen, sondern häufig unterbrochen sind und ihre
Enden mehrere Centimeter lang auf der Rückseite herabhängen lassen.
Durch diese herabhängenden Fadenenden wird nämlich das Wollgewebe
soweit verdickt, dass es auch als Fußteppich dienen kann. Heutzutage
wird das orientalische Kilim bei uns mit Vorliebe für Portieren benützt,
und zur Deckung des großen Bedarfes massenhaft durch den Handel ein-
geführt. Da müssen wir nun gleich fragen, warum man das Kilim bei
uns nicht im Lande erzeugt hat, nachdem ia doch seine Technik, wie
die Gobelins beweisen, mindestens vom späteren Mittelalter an, in ganz
West- und Mitteleuropa wohlbekannt war. Von technischen Schwierig-
keiten kann dabei gar keine Rede sein, da doch die Gobelingemälde den
einfachen Kilim gegenüber wahre Kunstwerke bedeuten. Die Antwort