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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe V (1890 / 11)

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Fragen wir nach den Ursachen, warurn sich gerade in den südslavi- 
schen Ländern und in Skandinavien die genannten primitiven textilen 
Techniken bis auf unser Jahrhundert lebendig erhalten konnten, so werden 
wir bei Betrachtung dieser Länder unschwer gleiche Züge erkennen, die 
dieselben mit dern Orient gemein haben. Namentlich die Südslavenländer 
fallen in wirthschaftlicher Beziehung noch vielfach in die Sphäre des 
Orients, und dieser Umstand trägt gewiss Vieles bei zur Erklärung der 
Thatsache, dass der Islam seine Herrschaft über die genannten Länder so 
lange behaupten konnte, dieselbe aber über diese Länder hinaus nicht 
mehr dauernd vorzuschiehen vermochte. Die südslavischen Länder zeichnen 
sich in gleicher Weise wie die meisten Landschaften des Orients aus durch 
Mangel an großen Städten, an Handel und Industrie, ferners durch 
UeberHuss der Bodenproducte, die nur schwer einen Export finden, durch 
Knappheit der umlaufenden Geldmittel und geringe Dichte der Bevölke- 
rung. Für Skandinavien haben zwar die genannten Umstände nur be- 
schränkte Giltigkeit, erscheinen aber daselbst in der bestimmendsten 
Weise vermehrt durch die eigenthümlichen klimatischen Verhältnisse, die 
während eines großen Theiles des Jahres die landwirthschaftlichen Ver- 
richtungen auf ein Minimum beschränken, und fdaher zur Uebung des 
Hausfleißes unmittelbar herausfordern mussten, bis endlich in der neuesten 
Zeit parallel mit der allgemeinen Umwälzung sämmtlicher Handels- und 
Verkehrsverhältnisse auch die Bedingungen für die Aufrichtung einer In- 
dustrie in Schweden und Norwegen geschaffen wurden. 
Hat sich nun die Analogie in den wirthschaftlichen Verhältnissen 
zwischen den Südslavenländern und dem Orient für die Vergangenheit 
durchführen lassen, so wird es gestattet sein, dieselbe auch auf die Zu- 
kunft anzuwenden. Für die Liebhaber echter orientalischer Teppiche 
dürfte ein solcher Zukunftsausblick allerdings nichts Erfreuliches bieten. 
Denn überall in Europa, wo sich die Teppichknüpferei und Wirkerei im 
Wege des Hauslleißes noch bis vor wenigen Jahrzehnten lebendig erhalten 
hatte, ist sie gegenwärtig nahezu vollkommen ausgestorben. Die künst- 
lichen Wiederbelebungsversuche, die man diesbezüglich im Norden wie 
im Süden angestellt hat, entbehren so lange einer gedeihlichen Grund- 
lage, bis man nicht dazu gelangt ist, durch Einführung mechanischer Be- 
triebsmittel in dieser Teppichproduction eine Abkürzung der Arbeitszeit 
herbeizuführen. lst dies mit Rücksicht auf die bisherigen vergeblichen 
Versuche in dieser Richtung überhaupt zweifelhaft, so frägt es sich auch 
erst, ob nicht mit dem Aufgeben der bloßen Handarbeit auch die eigen- 
thümlichen Reize jener Teppiche verschwinden werden? 
Haben sich nun die dem Orient nächstverwandten südosteuropäischen 
Länder dem westeuropäischen Betriebssysteme erschlossen, und den alten 
Hausfleiß aufgeben müssen , so droht dasselbe auch dem Orient selbst. 
Es wurde ja schon vorhin erwähnt, dass der in der orientalischen Teppich- 
erzeugung eingerissene Zersetzungsprocess in Folge des europäischen Ein-
	        
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