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Ussermann, Germ. Sacr. Prodr. l. Typ. S. Blas. 1790) wird erzählt, dass
der Mönch Ratold, welcher später Bischof von Verona wurde, um das
Jahr 830, als er unter Verzicht auf seine Bischofswürde wieder in's
Kloster Reichenau zurückkehrte, den Körper des Evangelisten Sanct
Marcus, welchen er in Venedig unter Aufwendung großer Mühe und
Opfer erworben, mit auf die Insel brachte. Die Ueberreste gab man
während der Reise als die des heil. Valens aus, um sie sicherer im
Münster zu Mittelzell bergen zu können. Nach Anderen wurde der Leichnam
S. Marci auch den Venetianern geraubt (Miracula S. Marci bei Mone,
Quellens. L, 61-67). Wenn auch Bischof Noting um 930 die Reliquien
des Marcus als auf Reichenau aufbewahrt bestätigte (Ladewig, Regg.
Nr. 348), so ist doch Thatsache, dass die Venetianer die Echtheit nicht
anerkannten, und den Besitz beständig anzweifelten. Dass hier, wie Adler
meint, ein frommer Betrug stattfand, wird vielleicht auch durch den Um-
stand erhärtet, dass die Mönche von Reichenau die Reliquie erst fünfzig
Jahre später zur allgemeinen Verehrung brachten (Wattenbach, 189.
Neugart, Ep. Const. t, 130). Dann aber war ihre Verehrung eine so be-
deutende, dass sie nicht nur in späterer Zeit einen der prächtigsten
Schreine als Hülle erhielt, sondern schon zur Zeit der Ueberführung und
Vereinigung eine weitgehende bauliche Veränderung zur Folge hatte, der
die Münsterkirche in Mittelzell unterworfen wurde.
Die Gliederung der Wandseiten des mächtigen Sarges, der auf vier
liegenden Löwen ruht, von welchen drei später erneut scheinen, ist durch
senkrechte Friestheile bewirkt, welche sich mit einem oben und unten
horizontal hinlaufenden Blattfries vereinigen. Die Vereinigungspunkte
sind durch dreipassförmige Felder mit Limousiner Ernaillen besonders
hervorgehoben. Ueber den einzelnen figürlichen Feldern entwickelt sich
ein golhischer Bogenfries. Die Darstellungen sind nach Kraus die fol-
genden: uAn den Schmalseiten sieht man a) die Herstellung des Schreines
durch den Goldschmied und die Bergung der Reliquie in der Theka;
b) zwei gekrönte Frauen knieen vor St. Marcus, der durch den Löwen
hinter sich charakterisirt ist und empfangen die Weltkugel und das
Scepter (Alexandrien und Venedig?). Die Langseiten haben kostbare
Limoges-Emaillen und Niellen mit Emaillenlagen, die Propheten dar-
stellend; dann am Deckel auf der einen Seite den Salvatur mundi zwi-
schen den Evangelisten Johannes und Matthäus in Medaillons, auf der
andern die Krönung der Jungfrau zwischen zwei Medaillons mit Marcus
und Lucas. An der Theka: auf der einen Langseite Verkündigung,
Geburt Christi, Darbringung im Tempel, Anbetung der Weisen, Flucht
nach Aegypten - auf der andern Geißelung, Kreuztragung, Kreuzigung,
Kreuzabnahme und endlich die Auferstehung-t
Kraus hält die Arbeit für französisch und das würde auch mit den
Emaillen übereinstimmen, die vollständig den in älteren lnventaren als
opera Lemovitica oder Lernovicensia, bisweilen auch opera de Limugis