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führen. Die Bezeichnungen Idealismus, Realismus, Naturalismus gehen sowohl, auf den
514,5", als auf die äußere und innere Form und es kann der Fall sein, dass ein Künstler
in der Stoifwahl Idealist, in der inneren Form Realist genannt werden muss. Lionardo
und Uhde sind bei der KVahI des heil. Abendrnahls Idealisten, Ersterer ist es} auch in
Hinsicht der inneren Form, er erhebt die Figuren über die gemeine Wirklichkeit; Uhde
ist hierin zum Mindesten Realist, er sucht die Wirklichkeit zu geben. wie sie thatsachlich
ist, gewesen sein mag. Der consequente Naturalismus verhalt sich zur inneren Kunstform
ablehnend: er sucht das Einzelne wie es ist, losgelöst von allem Uebrigen, das Wirk-
liche, aber nicht wie es wirkt, das Seiende ohne alle Beziehung auf das Werden und den
Zusammenhang alles Seienden, nicht das Gesetz, sondern das Gesetzte. Dadurch macht
der Naturalismus den Eindruck des willkürlichen, Regellosen, Zufalligen, er kennt auch
keinen Unterschied zwischen schon und hässlich, Alles ist ihm gleich werthvoll, den
Einfluss der Phantasie bekämpft er, weil sie ihm das Vllirklichkeitsbild störe, dass es
eine werthmessende Instanz gibt, den Geschmack, leugnet er. Der Idealismus hat Gea
danken, der consequente Naturalismus ist gedankenlos; dieser hegt keine Neugier nach
dem Woher und Wohin, auch jener ist nicht eigentlich neugierig, sondern befriedigte
Neugier, insoferne er sich vermisst, das Ziel erkannt zu haben, nach welchem alles
Werden drängt, dem zu Liebe alles Gewordene ist. Der Idealismus begnügt sich nicht
mit der Natur, er erkennt das Recht der freischaffenden Phantasie an und auch den ab-
soluten Maßstab des Geschmackes. Aber der consequente Idealismus macht die Kunst
schließlich schematisch, er nimmt den sinnfalligen Erscheinungen das individuelle Leben
und haucht ihm allgemeine Gedanken ein, die volle runde Realität entschlüpft ihm, er
sucht die Regel', nicht den besonderen Fall der Anwendung. Der moderne Naturalismus,
der aber, recht betrachtet, kein consequenter in obigem Sinne ist, ist der Uebertreibungen
voll, wie jede revolutionäre Bewegung sich stürmisch gegen die Ueberlieferung auflehnt, aber
man darf seine reformatorische Bedeutung nicht verkennen. Das Verdienst des litterarischen
Naturalismus liegt in der Bereicherung des Stolfgebietes, das des malerischen Natura-
lismus, des Impressionismus und der PIein-air-Malerei im Technischen. Zola erinnert
sich wieder des Taine'schen Satzes: nln der exacten Reproduction besteht das Wesen
der Kunst nichtr, man fangt wieder an zu wählen (im Gegensatze zum ideologischen
Naturalismus), man sucht das Wesentliche, Charakteristische (im Gegensatze zum ideolo-
gischen Idealismus), aus dem skandinavischen Norden ertönt der Ruf nach nein bischen
Romantik: und es tritt eine neue Lehre auf unter dem Zeichen des nNeu-Idealismusn.
Worin besteht nun die wahre Aufgabe der Kunst, der höchste kunstmaßige Stil,
wenn der Naturalismus die Berechtigung der inneren Form und Werthunterschiede über-
haupt, mit Unrecht, leugnet, der Idealismus hinwiederum im Uebermalie der inneren
Form das Gegenstandlich-Lebensvolle ertodtet? Die Aufgabe der Kunst besteht in der
Darstellung des Allgemeinen am Besonderen; es soll das Gesetz, das hinter
allem Einzelnen steht, an ihm wirksam und lebensvoll aufgewiesen werden. Die Kunst
kann der Natur nicht entbehren, aber sie kann sie nicht brauchen, wie sie sie ündet.
Das Einzelne ist gemein; interessant und werthvoll wird es nur, wenn aus ihm ein all-
gemeines Gesetz hervortritt, wenn es mit einer Mehrzahl in Beziehung gesetzt, von einem
Dahinterstehenden abgehoben wird, wenn es im Geiste des Genießenden eine Reihe, eine
ganze Classe verwandter Erscheinungen auftauchen lasst. Die Bedeutung solcher Dar-
stellung liegt im höheren Werthe der Fülle und Mannigfaltigkeit und Tiefe, welche die
Natur nirgends bietet. Dieses Allgemeine am Besonderen herausarbeiten heißt aber das
Typische erfassen. Der wahren Kunst ist das Schone nicht wreines Wasser das nach
nichts schmeckt: wie WinckelmannJ die Kunst ist nicht Ientbehrliches Vergnügenc, wie
Lessing behauptet; sie liefert in gewissem Sinne Erkenntnisa und mit Recht hat Goethe
im Hinblicke auf sie das neue Wort nbedeutendc geschaffen, denn sie hat das Weltganze
deuten zu helfen. Einen bedeutenden typisch-realistischen Stil zeigt die antike Plastik.
Michel-Angelo, Rembrandt, Shakespeare, der spätere Goethe. Die Kunst tritt in diesem
Sinne ergänzend neben die Wissenschaft, sie liefert aber mehr als diese, denn sie hat
den Makroltosmos im Mikrokosmos zu spiegeln, in ästhetisch werthvoller Form. Sie ist
aus dem Menschen und für ihn gesehalfen, sie hat in ihr Bereich Alles zu ziehen was
ihn bewegt; die Kunst muss national sein, sie hat aber auch eine sociale Sendung zu
erfüllen. Dann wird sie auch wieder, wie in der Antike, Gemeingut des ganzen Volkes sein.
- Am g. und tz. Februar sprach Director Dr. A. Ilg über :Die Geschichte des
Baues der kaiserl. Wiener Hofburg seit Fischer v. Erlachu.
Der Vortragende begann mit einer kurzen Besprechung der ersten Fürstenburg,
welche vAm Hof: bestand, ungefähr auf der Area zwischen dem Palais der ,Nuntiatur
und der Bognergasse. Es existiren keinerlei bildliche Darstellungen über die bauliche
Construction und die Ausschmückung der Innenraume dieser Burg. Mit der Zeit benahmen
bür erliche Wohn- und industrielle Erzeugungsstatten der Burg nAm Hof: Licht und
Lut und es entstand für die Fürsten die Nothwendigkelt, aus der Mitte der Stadt an die