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salzburgische l-Iofmark war. Wie die Büste in die Kapelle an der Straße in
der Nähe des Ebnerhofes kam, darüber sind nur Vermutungen zulässig. Ist
der dargestellte Notar oder Assessor der Stifter dieser Wegkapelle gewesen?
Sie kann auch aus der im Walde nahegelegenen Filialkirche zu „St. Ulrich
in der Urtel" stammen! Die Büste des Stifters wäre dann durch mehrere
jahrhunderte vom Volke irrtümlich als Ebenbild jenes Heiligen verehrt
worden, dem zu Ehren er die gottgefällige Stiftung machte.
DIE KANZEL DES DOMES VON GRADOSP
VON LEO PLANISCIG-WIENSIP
IE merkwürdige, in ihrer eigenartigen Form vielleicht
einzig dastehende Kanzel des Gradenser Domes
(Abb. I und 2) ist bis auf den heutigen Tag eines
der vielen kunsthistorischen Rätsel geblieben, bei
denen die Datierung um mehrere Jahrhunderte
schwankt. Bald wird sie als ein Werk der
„römischen Verfallskunst" betrachtet und ins
VI. Jahrhundert versetzt; bald glaubt man in den
Reliefs, die sie schmücken, Charakteristika der
sogenannten Völkerwanderungskunst zu erblicken,
und das IX. Jahrhundert wird für ihre Datierung
vorgeschlagen; schließlich gibt es zumeist ältere Autoren, die sie als im
XII. Jahrhundert entstanden betrachten. Abgesehen von diesen Meinungs-
verschiedenheiten, ist es wichtig festzustellen, daß die meisten neueren
Kunsthistoriker, die sich mit der mittelalterlichen Skulptur Oberitaliens
beschäftigten und andere Werke in Grado kennen und erwähnen, unsere
Kanzel ganz außer acht lassen. Weder Cattaneoi noch Rivoirai" sprechen
von diesem Denkmal. Auch Zimmermanni" und Gabelentzi- gehen still-
schweigend vorbei, obwohl die Kanzel dem Gebiete ihrer Forschungen
entsprechen müßte und in der von ihnen benutzten Literatur des öfteren
Erwähnung findet. Schließlich weiß auch VenturiJ-T dem sicher nicht die
nötige Materialkenntnis mangelt, von unserer Kanzel kein Wort zu erzählen.
Dieses Verschweigen eines durch seine charakteristischen Eigenschaften
stark ins Auge springenden Denkmales scheint mir sicher nicht auf der
Unkenntnis des Monumentes an sich zu beruhen, vielmehr auf dem Unver-
mögen, es in den richtigen Platz der Entwicklung einzureihen, mit andern
Worten in der Schwierigkeit, es ohne ein passendes Vergleichsmaterial zu
datieren. Denn, wie anfangs erwähnt wurde, ist über die Kanzel in der
"' R. Cattaneo, L'Architettura in Italia dal Secolo VI al Mille circa. Venedig 1888.
4' G. T. Rivoira, Le Origini deIPAi-chitettura lombarda, Mailand 1908.
t" M. G. Zimmermann, Ober-italienische Plastik im frühen und hohen Mittelalter. Leipzig x8g7.
1- H. von der Gabelentz, Mittelalterliche Plastik in Venedig. Leipzig 1903.
H- A. Venturi, Storia dell'Arte italiana. Bd. I-IV. Mailand xgoß.