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Volltext: Monatszeitschrift XXI (1918 / Heft 11 und 12)

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die Kunst sich heranwagt, treten kräftiger hervor und nach ihnen richtet 
sich das Gewand, welchem nicht mehr wie früher die Körperteile folgen 
müssen. Auf die Basis menschlich aufgefaßter Natürlichkeit gestellt, wagt 
es die Plastik, die einzelnen Menschen in den verschiedensten Stellungen 
aufzugreifen. Die Plastik gewinnt die Eignung, wie die Malerei reicher zu 
erzählen, es entwickelt sich die große freiplastische Gruppendarstellung, zu 
welcher die späte Gotik bereits die ersten Ansätze zeigte." Die Annäherung 
der Plastik an die Malerei zeigt sich auch überaus charakteristisch darin, 
daß nunmehr immer häufiger Maler auftreten, welche dem Bildhauer die 
Skizzen zu seinen Figuren und Gruppen liefern (Waldburgers Schlägler 
Altarl). 
In dieser Entwicklungslinie bewegt sich auch Waldburgers Figural- 
plastik. Auch seine Figuren sind im Grunde gotische Figuren, reduziert auf 
die neue Vorstellung von Natürlichkeit. In dem großen Kreis seiner Kunst- 
genossen ragt Waldburger durch seine Gruppendarstellungen hervor, mit 
denen er den Schrein seiner Altäre füllt. Daß aber die Figuren dieser Jahr- 
zehnte wohl Träger menschlicher Handlung, weniger aber menschlicher 
Empfindung sind, tritt vielleicht bei keinem Meister deutlicher zutage als 
bei Waldburger, für welchen die Leere der Gesichter seinerFiguyen gerade- 
zu zum Charakteristikum wird. Für die volkstümliche deutsche Plastik war 
diese Periode heimischer Kunstentwicklung, in welcher Hans Waldburger 
keine Einzelerscheinung, sondern der typische Vertreter der allerorts tätigen, 
aus der alten Tradition herausgewachsenen deutschen Bildschnitzer ist, die 
Lehrzeit, in der sie, wie die großen Meister der italienischen Renaissance, in 
ihrer Art Gelegenheit fand, den menschlichen Körper zu studieren, zu lernen, 
wie jedes Glied zu bilden und zu bewegen ist. Die ungeheure Blüte der 
volkstümlichen deutschen Plastik des XVIII. Jahrhunderts, die selbst in der 
entlegensten Dorfkirche und Kapelle Kleinodien echter Kunst entstehen 
ließ, wäre undenkbar gewesen, wenn die volkstümliche Kunst des XVII. Jahr- 
hunderts die Generationen der in der Gotik wurzelnden deutschen Bild- 
schnitzer nicht in den altererbten Traditionen ihrer Kunst weitererzogen und 
so für die neuen Aufgaben, die ja im wesentlichen ein Wiederaufleben der 
Gotik in neuer Formensprache beinhalteten, vorbereitet hätte. Nur solange 
wir das XVII. Jahrhundert mit einer kritiklosen Voreingenommenheit als 
eine Periode absoluten Stillstandes in der Entwicklung der deutschen Kunst 
betrachten, werden wir auch glauben, daß die Wurzeln der Kunst der 
ungezählten heimischen Meister, die im XVIII. Jahrhundert der deutschen 
Kunst eine Führerrolle verschafften, bei den wenigen italienischen Bildhauern 
zu suchen seien, die in den letzten Jahrzehnten des XVII. Jahrhunderts den 
barocken Stil in unserer Heimat vertraten. Die Wurzeln der volkstümlichen 
deutschen Plastik des XVIII. Jahrhunderts liegen - wie es immer deutlicher 
zutage tritt - in den Traditionen der Gotik und die volkstümliche deutsche 
Bildnerei des XVII. Jahrhunderts hat diese Tradition bewahrt. 
3' Nach Dr. Richard Hoffmann, a. a. O.
	        
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