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Volltext: Monatszeitschrift XXII (1919 / Heft 6, 7 und 8)

hervor, um dieses im gleichen Maße noch empfinden zu können. Ich erinnere 
mich aber, wie ich selbst damals beim ersten Anschauen des Börsengebäudes 
den künstlerischen Wert ahnte, aber doch einen nüchternen Eindruck von 
dem Ganzen erhielt. Nachher wurde mir klar, daß dem sogenannten Puri- 
tanismus dieses Gebäudes ein leidenschaftlicher Künstlergeist innewohnt, der 
sich nicht aus Mangel an Vorstellungsfähigkeit oder Schöpfungskraft derartig 
mitteilt, welcher aber durch die absichtliche Zurückhaltung einer ernsten 
Künstlerüberzeugung beschränkt wurde. 
Denn Berlage ist im Grunde nicht eine harmonische, gleichgewichtige ' 
Künstlematur, wie sie die Verwirklichung seiner Prinzipien fordert, sondern 
eine reizbare, temperamentvolle Persönlichkeit, welche sich selber gewalt- 
sam eine straffe Beherrschung auferlegt. Seine Kunst entwickelt sich in 
fortwährender Beschränkung: durch Vereinfachung und Verallgemeinerung 
erstrebt er das Monumentale und Erhabene. 
In den obengenannten Werken ist dieses nur teilweise erreicht. Un- 
geachtet der großzügigen Massen- und Flächenwirkung und der Syntheti- 
sierung des Details entfaltet sich hier noch eine Vorliebe für lyrische Ergüsse 
in den vorher genannten kennzeichnenden Verzierungen und eine Vorliebe 
zu malerischen Anordnungen in der Gruppierung von Baukörpern und der 
Gestaltung von Grundrissen. Letzteres ist teilweise auch Folge einer natür- 
lich-organischen Auffassung des Rationalismus, welche die ästhetische Ge- 
staltungsform der Zufälligkeit praktischer Bedingungen unterordnet." Die 
Unzulänglichkeit dieser Auffassung in ästhetischer Hinsicht einsehend, hat 
der Künstler sie allmählich modifiziert im Sinne einer Auffassung, welche 
zwar die natürlichen Bedürfnisse anerkennt, sie jedoch rationell auf ästhe- 
tisch-konstruktive Weise zu lösen versucht. Von dieser Auffassung zeugen 
schon einige Werke dieser ersten Periode, doch hauptsächlich tritt sie zu- 
tage in den folgenden Werken Berlages, welche auch wegen der Umwälzung 
in seinen Anschauungen in anderer Hinsicht zu einer neuen Periode in 
seinem Schaffen gerechnet werden können. 
Man muß gestehen, daß die Mischung von Monumentalität und Lyrik 
den ersten modernen Werken einen besonderen Reiz verleiht; jedoch sie ist 
im allgemeinen der Einheitlichkeit eines Kunstwerkes nicht günstig. Überdies 
ist sie im Grunde mittelalterlicher Art und entspricht in der großen Variation 
der Einzelheiten dem Wesen des Handwerks. 
In unserer Zeit fordern kulturelle und ökonomische Notwendigkeiten eine 
möglichst große Benutzung der Maschine. Die sich aus dem Gebrauch der 
Maschine ergebende veränderte Produktionsweise und durchgeführte Typi- 
sierung wird in Verbindung mit der Anwendung von neuen Materialien von 
f Diese Auffassung ist von Ruskin gefördert worden und hat die Entwicklung der modernen Baukunst 
bedeutend aufgehalten wegen der Hervorhebung sentimentale: und romantischer Werte. Treßlich spricht sie 
aus der Tatsache, daß Berlage im Laufe der Zeit Anbauten an einige seiner Gebäude veranstaltete, wenn diese den 
Bedürfnissen der Bewohner entsprachen. Einer rein ästhetischen Auffassung ist dieses aber nicht gemäß, denn in 
einer ästhetischen Gestaltung ist jeder Teil mit den anderen eng verknüpft und die kleinste Zufügung oder Ab. 
nehrnung würde das Gleichgewicht der ganzen Komposition zerstören.
	        
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