Engelskinder auf den Giebeln genau in dem gleichen Sinne verwenden, wie
einst der gotische Meister seine Fialen aufsetzte. Der 1626 geschaffene Hoch-
altar zu Mondsee" ist ein Schulbeispiel dieser Entwicklung, ein abschließen-
des reifes Werk der volkstümlichen deutschen Renaissance.
Gerade in die Zeit, da Werke der Skulptur wie der Mondseer Altar
entstanden sind, fallen die Anfänge der katholischen Gegenreformation in
unserer Heimat. Den Lehren Luthers von der intellektuellen Rechtfertigung
durch den Glauben setzte die katholische Kirche die Vertiefung des Gefühls-
lebens gegenüber. Der Gottgläubige sollte Tag für Tag in einen Zustand
andächtiger Versenkung, tiefen seelischen Erlebens versetzt werden. Damit
war auch der Kunst ein neues geistiges Programm gesetzt. Wie in der Gotik
sollte die Kunst wieder einer übermateriellen, übersinnlichen Idee dienst-
bar werden. Was Wunder daher, daß der, wie die Entwicklung zeigt, nie
ganz erstorbene gotische Bewegungsdrang - Bewegung war in der Gotik
der Ausdruck des Übematürlichen - sich in den Werken der heimischen
Plastik der Gegenreformationszeit neu verstärkte. Ein überaus interessantes
Beispiel für diese Verstärkung, für die sinnfällige Verlebendigung des Ver-
tikalismus, des Bewegungsdranges in die Höhe, bildet der Hochaltar im Dom
zu Gurk (Abb. x), welchen der Gurker Bildhauer Michael Hoenell in den
Jahren 1626 bis 1631 schuf." Schon die gewundenen - oder, wie es im
Vertrag heißt, die gefiammten - Säulen verkörpern sinnfällig das Aufwärts-
streben. Der I-Iöhendrang wird durch die geschwungenen, ausbauchenden
Gebälke aufgenommen und schließlich durch die Voluten des Aufsatz-
geschosses zur Spitze geführt. Es ist außerordentlich interessant zu sehen,
wie eigenwillig der deutsche Meister in seinem Vertikalismus mit den
erborgten Renaissanceforrnen verfährt. Er läßt das Abschlußgebälk des
zweiten Geschosses in einer Volute sich einrollen, um sich eine stürmische
Bewegungslinie zu schaffen, die er im Aufzug nochmals aufnimmt und mit
elementarer Wucht nach der bekrönenden Spitze hin ausschnellen läßtf
Das köstlichste Produkt des stürmischen Bewegungsdranges des Meisters
ist aber das gesprengte Muschelwerk, eine ureigene Erfindung des Meisters,
um in einer züngelnden, aufflammenden Linienführung die bewegte figuren-
reiche Darstellung der Himmelfahrt Mariens, welche den ganzen Altar-
aufbau sprengt, nach oben abzuschließen. In der Steigerung des aus der
Gotik überkommenen, auf die Betonung des Übersinnlichen gerichteten
Bewegungsdranges liegt die weitere Entwicklung der heimischen Plastik.
Ein recht charakteristisches Beispiel für die Fortbildung des Stiles scheint
mir der schöne Altar in der Stiftskirche zu Hohenfurt in Deutschböhmen
zu sein (Abb. 2), welchen der Maler Frater Georgius und der Bildhauer
Frater Leonhardus Wulliman, beide aus dem Zisterzienserkloster Salem in
' A. a. 0., Seite 380, Abb. 7.
"' F. G. Hann, „Beiträge zur neueren Kunstgeschichte des Gurker Domes nach archivalischen Auf-
zeichnungen im Archive des Domkapitels zu Gurk" in „Carimhir, 86. Jahrgang, I. Band (1896), Seite x52 iT., und
Alfred Schnerich, „Die Kunst der Gegenreformation im Dcmsüfte Gurk" im "Jahrbuch der Lenz-Gesellschaft",
1899. Seite m4 B".