konjunktur der Revolution nicht bedurft hätte, um sich Geltung zu verschaffen. Längst vor
und während des Krieges war der Ernst des Strebens klar geworden. Und es wird ebenso
immer deutlicher werden, daß der Umsturz der allgemeinen Verhältnisse der neuen Kunst-
bewegung eine Wertung, zu deren Anerkennung man suggeriert wurde - eben eine
Gesinnungskonjunktur -, gebracht hat, die nur einem eilfertigen, halbfertigen Mitläufertum
zugute kommen konnte. _
Jene Gesinnungskonjunktur hat nun die schwankende Politik der Berliner Ausstellungs-
verhältnisse nicht eben zu festigen vermocht. Die Angst vor der Jugend um jeden Preis
hat den mittleren Talenten den Halt genommen. Mußte schon das kleine Häuflein der
Berliner Sezession, das blieb, als der entwicklungsfähigere Zweig der Freien Sezession
neue Wurzeln suchte, sich jede Jugend als Mitgliederzahl verschreiben, so hat aber
besonders die Freie Sezession nur mit der Gesinnungskonjunktur der modernen Bewegung
gegenüber verrnocht, sich zu halten, indem sie ihr Stimme im Vorstand und Jury ein-
räumte. Niemand würde hier von einer Gesinnungskonjunktur reden, würde es sich dabei
allemal um reifende Qualität handeln. Man wird von einem so ernsten Menschen wie
Schmidt-Rothluf, der im Vorstand der Freien Sezession stellvertretend sitzt, künftig nicht
nur Gesinnung, sondern auch Qualitätsgefühle erwarten dürfen. Denn es wäre auf die Dauer
für die Entwicklung des Expressionismus von schwerstem Nachteil, wenn jetzt nach zehn-
jährigem Ringen man immer noch das Gefühl des Bahnfreimachens an erster Stelle oder
der Gesinnung, die eifernd das bloße Programm fordert, hätte. Die Frage steht jetzt nicht
mehr nach der Gesinnung, sondern allein nach der Qualität. Nur sie kann die Gesinnungs-
konjunktur unserer Tage eindämmen und die Revolution aus der Kunst herausreißen, wo
es sich doch nur um Evolution handelt. Dabei ist es seltsam, daß die, welche sich durch
Gesinnung, sei es nun Qualität oder Unqualität, verbunden fühlen, durch keine starke
Ausstellungsorganisation repräsentiert werden. In der alten Berliner Sezession, wie auch
in der Freien Sezession, hat der Expressionismus seinen Platz. Und dazu ist nun eine dritte
Gruppierung als „Novembergruppe" aufgetaucht, die sich vornehmlich aus der Freien
Sezession nach links entwickelt hat. Vielleicht ist hiefür vielfach der Kunsthandel als Grund
anzuführen, der gierig nach dem Verlagsrecht eines der Führer der Expressionisten greift
und gerne sieht, wenn er auch in Ausstellungen getrennt, jedenfalls nicht mit Großen
zusammenauftritt, die ein anderer Händler okkupiert hat. Keinesfalls kann selbst einer so
eminent vitalhungrigen Stadt wie Berlin diese Ausstellungspolitik aus persönlichen Gründen
auf die Länge zur Förderung gereichen. Aus diesem Grunde ist der Plan, alle Ausstellungen,
wie einst vor Gründung der Sezessionen, in einer großen Schau zu vereinigen, zu begrüßen.
Angeregt durch die Ausstellungsnot im Kriege hinsichtlich des Raummangels, mußte die
alte „Große Berliner Kunstausstellung" nach Düsseldorf gehen und konnte es dort jeden-
falls nicht wagen, ohne Einbeziehung der beiden Sezessionen als ehrlicher Repräsentant des
Berliner Kunstlebens aufzutreten. So wird in einer Woche diese Gesamtschau diesmal in
Berlin eröffnet werden. Einen wahren Sinn wird aber jene große Ausstellung nur erlangen
können, wenn sie jene Gruppen, die ohne einheitliches Kunstprogramm lediglich auf einen
Vereinscharakter herabgesunken sind, überflüssig machen. Auch der vitalste Kunstdrang
kann in einer Stadt vier große Kunstausstellungen und ein Dutzend Kunstsalons, die in der
letzten Zeit sich abermals vermehrt haben, nicht ertragen. Wenn in diesem Monat die große
Schau eröffnet sein wird, wird es sich zeigen, inwieweit jenen Sezessionen noch ein
Daseinsrecht zukommt oder inwieweit die große Vereinigung der Gruppen schon eingängig
erscheint. Jedenfalls steht die Ausstellungspolitik des Berliner Kunstlebens vor weit-
tragenden Ereignissen. W. Kurth.
IEN. KÜNSTLERFÜRSÜRGE. Das Präsidium und die Geschäftsleitung des
Künstlerfürsorgekomitees versenden den Bericht über die fünfjährige Tätigkeit
dieser Hilfsaktion für die durch den Krieg in Not geratenen bildenden Künstler. Das Komitee
hat bisher 6994 Unterstützungsakte mit einem Gesamtaufwande von 371.700 Kronen
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