Im XV. Jahrhundert war ein dekorativer Wandteppichstil gefunden,
in Deutschland charakterisiert durch Stellung flächig behandelter Figuren
auf einen in gleich starken Farben gehaltenen gemusterten Hintergrund, in
Frankreich-Burgund durch Häufung von Figuren übereinander sowie starke
Betonung dekorativer Details der Darstellung. Seit der Wende des XV. jahr-
hunderts greifen große Künstler in die Entwicklung ein. Raffael, Rubens,
Lebrun, Coypel, Boucher - sie alle bedeuten Etappen von einem dekora-
tiven Teppichstil weg zum Bildmäßigen und Figürlichen, wobei Rubens
das in dieser Hinsicht Ausgeglichenste und dem Gobelincharakter Entspre-
chendste schuf, bis man schließlich zu direkter Übertragung von Porträt-
bildern gelangte. Die Bildwirkerei hatte damit ihr Eigenleben gänzlich auf-
gegeben, sie begnügte sich, mit der Malerei zu wetteifern. Damit war das
Rad der Entwicklung heißgelaufen.
Wenn nun wieder Künstler in einem solchen Entwicklungsstadium
reformierend eingreifen, so stellt sich das Problem für sie vor allem nach
der technischen Seite hin. Denn die Situation gibt sich in diesem Falle so,
daß das technische Können (im weitesten Sinne des Wortes genommen)
das künstlerische überwuchert hat.
Es ist überhaupt wichtig, stets zu erkennen, in welchem Verhältnis sich
diese beiden eben genannten Faktoren zueinander befinden. Sie können
beide zugleich auf höchster Stufe ihrer Entwicklung stehen, wir sprechen
dann von „Klassik" in der Kunst. Sie können aber auch in gleicher
Gebundenheit bleiben, wie etwa im romanischen Stil oder es kann das
künstlerische Können das technische übertreffen, dieses über sich selbst
hinausführend. Das geschieht in Zeiten großen künstlerischen Werdens und
des Eingreifens bedeutender Persönlichkeiten. Wo wir ein derartiges Ver-
hältnis zwischen den bezeichneten Faktoren sehen, können wir stets die
Einflußnahme von Künstlern annehmen."
Übertrifft aber das technische Können das künstlerische, wie in Zeiten
des Virtuosentums, da das künstlerische nur mehr als dünnes Geriesel
im breiten Bett technischen Rafiinements erscheint, so gibt es nur einen
Ausweg für einen neuschöpferischen Meister: er greift zur primitiven Technik,
um künstlerisch desto mehr ausdrücken zu können. So geschah es auch, als
Künstler unserer Zeit wie Eckmann, Thoma, Munthe die Wiederbelebung der
Gobelinkunst in Angriff nahmen. Der Entwurf betonte den textilen Charakter,
für die Ausführung war der primitivste Wirkstuhl vorgesehen.
Ähnliche Vorgänge waren beim Einsetzen der modernen Bewegung
auch auf anderen Gebieten bemerkbar. So ging man in der Gold-
schmiedekunst vor allem wieder vom Material und seiner Behandlung aus,
suchte bei einfacher Formgebung und ebenso primitiver Technik (Hammer-
arbeit) die Eigenschaften des speziellen Materials zu feinster künstlerischer
' So ist das wundervoll behandelte, alle technischen Schwierigkeiten überwindende Rankenwerk des
alten orientalischen Teppichs sicherlich durch persische Holkiinstler in die Teppichkunst gelangt, während die
volkstümliche Stufe etwa durch einen gleichzeitigen armenischen Teppich mit seiner technisch gebundenen
Zeichnung von eckigen Tier- und Rankenüguren gekennzeichnet ist.