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mdernden Hirtenvölkern wohl ist zuerst der Einfall gekommen,
das ihnen zu vielem nützliche Tierfell in seiner Struktur — Fläche
(Haut) und daraus Emporragendes (Vließ) — im Knüpfteppich nach
zubilden. Nicht sosehr der Wunsch nach technisch oder im Gebrauch
Besserem kann hier das Treibende gewesen sein, als vielmehr schöp
ferische Schmuck- und Farbenfreude. Ihr wollte die Unscheinbarkeit
und Einheitlichkeit der Farbe, vor allem aber das Gegegebene daran
nicht behagen hoch genügen.
Der Vorgang der Herstellung des Knüpfteppichs ist folgender:
Senkrecht, etwa wie die Saiten einer Harfe, aber eng nebeneinander
gespannte, gezwirnte Fäden, insgesamt Kette genannt, sind das Gerüst.
Schwächere, meist ungezwirnte und darum schmiegsamere Fäden, in
ihrer Gesamtheit als Eintrag bezeichnet, werden waagrecht, alternie
rend durch die Kette geschossen und bilden mit ihr das Grundgewebe.
Abgesehen von den an den Schmalseiten des Teppichs den Abschluß
bildenden Gewebestreifen, geschieht dieses Einweben nur in schmalen,
meist drei Gänge breiten Partien. Diese Einzelgänge werden Schüsse
genannt. Nach jedem solchen Eintrag folgt, wechselweise, eine Hori
zontalreihe von Einzelknoten, die über je zwei nebeneinander liegende
Kettfäden geknüpft sind. Sie bilden mit ihren emporragenden, sidr
aneinanderschmiegenden Fadenenden den Flor und sind — im ferti
gen, unabgenützten Teppich allein sichtbar — die Träger seiner künst
lerischen Erscheinung. Als kleine Einzelgebilde gestatten sie in frei
zügigem, mosaikartigem Arbeiten die Verwirklichung auch strenger
künstlerischer Intentionen in Linie und Farbe.
Nach der Verschiedenheit und Höhe dieser Ansprüche, gegeben durch
das Milieu, aus dem sie kommen und dem ihre Erfüllung dient, son
dern sich auch beim orientalischen Knüpfteppich deutlich die Werke
der Volkskunst von denen der hohen Kunst. Wo noch urtümliche Zu
stände dauern, ist die erstere am Werk, sich aus selbstgezogenem,
selbstgesponnenem und selbstgefärbtem Material mit primitiven Vor
richtungen ihr Haus- und Sakralgerät herzustellen; für sich selbst, als
Geschenk oder zur Brautausstattung und darum mit oder aus Neigung,
was die oft erstaunliche Güte des Werkstoffs und Genauigkeit der Ar
beit erklärt. Auf Arbeitsteilung beruhendes, streng disponiertes Zu
sammenspielen künstlerischer und kunsthandwerklicher Kräfte, die von
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MUSEUM IN WIEN