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gleich gezogen wird zwischen den Leistungen der Gewerbe in früheren
Zeiten und jenen der gegenwärtigen Periode.
Was den ersten Punkt betrifft, so sind .sie zumeist vollständig Ideo-
logen. Ihnen liegt weniger daran, dass eine Jugend herangebildet wird,
welche mit Liebe dem Gewerbestande angehört, welche gewohnt ist zu
arbeiten und durch die Arbeit sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen,
als daran, dass durch die Volksschule und Bürger-schule der Jüngling
gewissermassen zum staatsbürgerlichen Leben ausgebildet wird. Ihnen
scheint es vollständig zu, genügen, wenn das Volk nur zu einer Art poli-
tischer Halbbildung herangezogen wird , die sich denn auch überall in
schreckenerregender Weise geltend macht. Dass das Gewerbewesen hin-
gegen im fortwährenden Sinken begrilfen ist, darüber beruhigen sie sich
leicht, und wenn man den Zustand der Gewerbe in früheren Zeiten mit
dem gegenwärtigen vergleicht, so gehen sie entweder darüber leichtfertig
hinweg oder sie trösten sich mit der allgemeinen Phrase, dass das neun-
zehnte Jahrhundert seinem fortschrittlichen und freiheitlichen Charakter
nach andere Aufgaben zu lösen habe, als frühere Jahrhunderte. Die
factische Unkenntniss der gewerblichen Arbeit früherer Zeiten erscheint
wohl als eine Entschuldigung und muss auch für viele als eine wirkliche
Entschuldigung betrachtet werden; denn aus den Acten lernt man diese
Arbeitsleistungen nicht kennen. Man muss die Production der früheren
Jahrhunderte zu beurtheilen verstehen, um sich darüber aussprechen zu
können, wie weit die gegenwärtige Zeit auf gewerblichem Gebiete hinter
die Leistungen früherer Jahrhunderte zurückgetreten ist.
Nur in wenigen Berufszweigen wird heutigen Tages überhaupt aner-
kannt, dass Fertigkeiten von Jugend auf geübt werden müssen, wenn sie
im praktischen Leben später von irgend welchem Werth sein sollen. ln
erster Linie ist dies bekanntlich bei der Musik der Fall, und hier wird
diese Wahrheit auch noch am wenigsten von der gegenwärtigen Generation
verleugnet. Jeder Musiklehrer in einem Conservatorium weiss es, dass ein
Junge, der nicht mitidem neunten Lebensjahre angefangen hat, das Violin-
spielen zu lernen, sein Lebelang kein fertiger und tüchtiger Violinspieler
werden kann. Ob er es zum wirklichen Künstler auf der Violine bringt
oder nicht, das hängt von der speciellen Begabung ab, die aber immer die
grosse Fertigkeit voraussetzt. Es muss ihm daher, wie aus diesem Beispiel
hervorgeht, in jungen Jahren die Möglichkeit geboten werden, sich Fertig-
keiten in solchem Grade anzueignen, dass sie für den künftigen Beruf,
für die Schaffung des Lebensunterhaltes von Werth sein können. Bei der
gegenwärtigen Schulgesetzgebung ist dies nach gewerblicher Richtung
nicht recht möglich und dies erscheint als der Grund , warum hier die
Forderung aufgestellt wird, dass bei Revision des Volksschulgesetzes - und
über die Nothwendigkeit einer solchen Revision herrscht in den mass-
gebenden Kreisen kein Zweifel - darauf Rücksicht genommen werde: