416
keine Beschäftigung linden. Nur in der Zeit des eigentlichen Bauschwin-
dels und Grtlndungswesens hat man Noth an Architekten, Bauzeichnern
und Baumeistern gehabt. Diese Ueberproduction war eine ganz unnatür-
liche; wie sie selbst ihren Ausgangspunkt von der geistigen und mora-
lischen Corruption genommen hat, so hat sie auch mit dazu beigetragen,
Kunst und Gewerbe zu corrumpiren und namenloses Unglück zu ver-
breiten.
Es ist doch eine ganz merkwürdige Thatsache, dass die technischen
Hochschulen Oesterreichs im Schuljahre 1878 die enorme Zahl von
4.073 Studirenden") aufweisen, wobei man noch in Betracht ziehen muss,
dass viele Oesterreicher sich an die technischen Hochschulen des Aus-
landes wenden, besonders nach München, Zürich, Karlsruhe u. s. f. Die
technischen Hochschulen des industriell so hoch entwickelten Frankreich
weisen nur eine Schülerzahl von 116i Studirenden auf, für das ganze
russische Reich genügen 2316, für Belgien 693. Dass alle diese jungen
Leute in Oesterreich Stellen finden sollen, ist eine baare Unmöglichkeit;
trotzdem aber drängt sich die Jugend in diese Laufbahn. Auch im
Oesterr. Museum hat man Gelegenheit gehabt, eine ähnliche Erscheinung
zu beobachten. So lange der Lehrerbildungscurs nicht existirte, waren alle
Schüler der Kunstgewerbeschule ausnahmslos berufen, einmal positiv in
das Kunstgewerbe einzutreten, als Maler, Decorateure, Bildhauer u. s. f.
Seitdem aber der Zeichenlehrer-Bildungscurs vorhanden ist, drängt sich
die Jugend zu dem Lehramt in so horrender Weise, dass eine Ausnahms-
massregel eintreten musste, wollte man nicht eine Ueberproduction von
Lehramtscandidaten herbeiführen. Während im Durchschnitte im Jahre
nur 30-40 Stellen zu besetzen sind, drängen sich jährlich 80-100 junge
Leute heran. So strebt auch gegenwärtig alles den juristischen Studien
zu und hofft irgendwo im Staatsdienste sein Fortkommen zu linden; aber
auch hier weiss jeder fachkundige Mensch, dass die Aussichten sehr be-
grenzt sind und die Zahl der zu besetzenden Stellen in keinem Verhält-
niss steht zu der Menge der jungen Leute, welche sich den rechts- und
staatswissenschaftlichen Facultäten zuwenden. Dass bei einer so grossen
Zahl von Bildungsbedürftigen auch der Unterricht leidet, ist ganz klar,
denn es reichen die grössten Mittel nicht aus, um diejenigen wirklich zu
unterrichten, welche unterrichtet sein wollen, und das ist gegenwärtig ins-
besondere auch bei den technischen Hochschulen in Oesterreich der Fall.
Sucht man aber nach den Gründen, warum ein so grosser Drang nach
höheren Studien sich geltend macht, so ist die Ursache wesentlich darin
zu finden, dass von der Volksschule angefangen, schon dahin gestreht
wird, das allgemeine Bildungsniveau zu erhöhen, ohne zugleich in dem
') Siexhe Brachell
i's Inaugurationsrede v. J. 1879.
Fortsztgung auf der Beilage.