36
Vorlesungen lm Museum.
Am 27. November hielt Prof. Dr. Karl v. Lützow einen Vortrag über die Jugend-
bilder Tizians im k. k. Belvedere und demonstrirte an denselben den Stufengang in der
Entwicklung des Meisters Die Zingarella (Zigeunertnadonna) ward durch eine Copie des
Malers Simmaier, die Kirschenmadonna durch einen Farbendruck und die Madonna mit
den Heiligen Stcfanus, Hieronymus und Georg durch eine Radirung W. Ungefs den
Zuhörern in Erinnerung gebracht. Der Redner wies in formell eleganter und sehr sach-
licher Weise nach, wie Tizian bei dem ersten Bilde noch völlig innerhalb, der feierlich
gebundenen Vortragsweise seines Lehrers Bellini befangen an der Anordnung des tradi-
tionellen Andachtsbildes festhält, um sodann durch das Stadium, welches die Kirschen-
madonna reprasentirt, zur-uzweiten Form des Gottlichenu, der auf sich beruhenden Schon-
heit, fortzuschreiten. Für Kunstfreunde und Kpnstler gleich interessant war die Ausein-
andersetzung der von so glänzendem Erfolge gelohnten gewissenhaften Restaurirung der
Kirschenmadonna durch Erasmus v, Engert, und der Anblick jener Copie, Welche Engert
bei dieser Gelegenheit von der Rückseite der Bildfläche genommen hatte. Selbe zeigt
deutlich, wie sich bei Tizian während der Arbeit an dem Bilde ein entscheidender Fort-
schritt geltend" macht. Der Meister sprengt hier während des Schaffens die Fesseln der
schematischen pyramidalen Composition, und im dritten Bilde hat der Cultus des Schonen„
b- der Würde und Anmuthl völlig den Sieg über die rituelle Gebundenheit des Andachte-
bildes errungen, ohne deshalb der religiösen Empfindung Abbruch zu thun.
Das überaus zahlreich erschienene Publicum spendete der meisterhaften Leistung
Prof. Lutzow's schließlich reichlicbsten Beifall.
Am 4. December sprach Dr. Aug. Fournier über Turgot. Der Vortrag lieferte
einen neuen Beweis dessen, dass die enorme ökonomische Kraft des frauzosischen Volkes
nicht allein aus dessen allerdings überaus günstigen natürlichen Verhältnissen zu erklären
ist, sondern ebensowohl aus dessen jahrhundertelangem Bemühen, die Arbeit des Volkes
berufsmäßig zu schulen und zu bilden. Die Eroberungen der französischen Armeen Lud-
wig XlV. fanden bald ihr Ende, die parallel gehende Handels-. Kunst- und Gewerbepolitik
Frankreichs eroberte sich den Markt einer Welt und wusste denselben dauernd zu be-
haupten. Seit ienen Tagen hat sich mit der' Freigebung der Gewerbe eine durchgreifende
Vllanydiung der Grundsätze organisatorischer Einflussnahme des Staates vollzogen. Die Ini-
tiativc zu dieser erst von der Revolution durchgeführten That ergriff Turgot, der Minister
Ludwig XVL- An die Biographie und Charakteristik dieses bedeutenden Mannes und die
wissenschaftliche Darlegung seiner wirthschaftlichen Theorien schloss der Redner die Schil-
derung deHFinanzlage in Frankreich vor und nach der großen Krise Laws, die Theorien
der Oekqnomisten und Physikraten, und die einleitenden Steuer- und Verwaltungs-
reformen Turgots, bis zur Aufhebung der Zunfte 1776. Dr, Fournier wusste selbstver-
ständlich als Historiker der Bedeutung der Corporationen im Mittelalter bis in die neuere
Zeit gerecht zu werden, schilderte in Schlagworten Colberts anerkanntes Verdienst um
Hebung der Gewerbe, gleichzeitig legte er aber durch .die Zeichnung der allmalig er-
wachsenen Mißstände im Zunftwesen Turgots radicale Reform als nothwendig, heilsam
und imltlalltrrechte begründet dar. Aber Turgot scheiterte zn der staatsrechtlichen Oppo-
sition des Parlamentes und an Hofcabalen, und erst die Revolution vollführte, was der
Reformator nicht hatte durchsetzen können. Ein kurzer Hinblick auf den Verfall der Ge-
werbe lill Folge der Aufhebung der Zünfte, und der Hinweis, wie durch die neue Gestaltung
dem Staate eben neue Aufgaben erwachsen, das Gewerbe zu schulen und zu bilden, schloss
dieser ausgezeichnet disponirte, trefflich gesprochene und von den Zuhörern mit lebhaf-
testem Beifalle aufgenommene Vortrag.
Am n. December sprach Herr Regierungsrath Exner nUeber die österreichische
Spielwaarenindustriew.
Redner entwickelt die Gesichtspunkte, von denen aus die SpielwaareuHausindustrie
erörtert werden-kann und begrenzt den von ihm gewählten Stoff dahin, dass er die in
den verschiedenen Kronländern Oesterreichs bestehenden Hausindustrie-Emporien der
Spielwaarenerzeugung vom technischen Standpunkte aus zu erörtern beabsichtigt. Hierauf
wurden die eigenartigen Verhältnisse der hausindustriellen Production, deren Rohstoff
Holz ist, umständlich besprochen. Dann folgte eine Erörterung der Spielwaarenproduction
des Erzgebirges, der Umgebung von Grulich, des nordostlichen Mährens, Galiziens, der
Fichten und des Grödner Thales.
An einer großen Zahl von Obiecten wurde das Verfahren in technischer Beziehung
erörtert und durch Angabe des Preises und der Absatzgebiete der für die Arbeiter und
Unternehmer resultireude Gewinn festgestellt. Den Schluss des Vortrages bildete die Be-
sprechung jener Maßregeln, welche zur Hebung des in Rede stehenden Industriezweiges
ergriffen werden könnten und sollten.
Der Vortrag erfreute sich bei dem zahlreichen Publicum der lebhzftesten Theilnahme.