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nördlichen Deutschland, gibt es noch heute eine Reminiscenz jenes älte-
sten Bucheinbandes. ln meiner Jugendzeit wenigstens wurden noch alle
Katechismen für die Volksschulen und so auch wohl die Volkskalender
in Decken von Buchenholz eingebunden, was bei irgend anderen Büchern
durchaus nicht mehr der Brauch war. Elfenbein war schon ein kostbares
Material, aber es wurde dennoch wie in Rom so auch in den Kloster-
buchbindereien verwendet und ebenso Metall, edles wie unedles.
An jede Art des Materiales verwendeten die Klosterkünstler, wenn
die Aufgabe danach gestellt war, ihre höchste Kunst. Nach dem Beispiele
der alten Diptychen wurden Holz und Elfenbein über die ganze Fläche
in Relief geschnitzt, das Metall gravirt, getrieben, emaillirt, das Silber
vergoldet. Von all diesem gibt unsere Ausstellung Beispiele, wenn auch
nicht sämmtlich in Originalen, doch in galvanoplastischen Copien, Photo-
graphien oder Zeichnungen. Das älteste Beispiel vielleicht sind zwei ver-
goldete Kupfertafeln aus dem io. Jahrhundert mit den eingravirten Figuren
der Könige des karolingischen Hauses, gegenwärtig der Bibliothek in Trier
gehörig, aber aus dem karolingischen Kloster Prüm stammend. Das Österr.
Museum hat sie galvanoplastisch nachbilden lassen. Sie sind nicht bloß
aus dem Gesichtspunkte unserer Ausstellung, sondern auch weil sie die
Reihe der Karolinger in treuen Abbildungen darstellen, für die Costüm-
geschichte von großem lnteresse. Dann folgt die ganze Serie der berühm-
ten byzantinischen Buchdeckel aus der Marcuskirche in Venedig, die
ebenfalls durch das Österr. Museum nachgebildet wurden, zum Theile
galvanoplastisch, mit möglichster Facsimilirung des Emails, zum Theile
in colorirten Photographien. Für die Buchbinderei haben sie ein beson-
deres lnteresse, weil auch die sonst fehlenden Rücken von Metall sind,
im Uebrigen aber sind sie mit ihrer getriebenen Silberarbeit, ihren Ein-
sätzen von Email cloisonne auf Gold wichtiger noch für die Goldschmiede-
kunst und mit ihren Darstellungen für die kirchliche Archäologie. Wäh-
rend die Byzantiner die Bücher mit Silber, Gold und Email deckten, ge-
schah es in den rheinischen Kunststätten zu Köln und Trier und dann
in Limoges mit vergoldetem Kupfer und Email champleve (Grubenschmelz).
Von dieser Art enthält die Ausstellung ein sehr schönes Beispiel in einem
Manuscripte der Liechtensteidschen Bibliothek aus dem 12. Jahrhundert,
welches bis vor Kurzem der Sammlung Firmin Didot angehörte. Auch
die Art der geschnitzten Holztafeln ist an einem Manuscripte der Am-
braser Sammlung vertreten, einem Chormissale des Abtes Berthold von
Weingarten vom Jahre 1227. Die Decke ist ein feingeschnitztes durch-
brocbenes Relief von romanischer Laubwindung mit Heiligenfiguren.
Nach dieser Zeit, d. h. mit dem Ausgange des romanischen und dem
Beginne des gothischen Styles, kam man, so scheint es, mehr und mehr
davon ab, die ganzen Holztafeln der Manuscripte mit Metallplatten zu be-
legen. Die Bücher mehrten sich, wurden häufiger in die Hände genom-
men und man fühlte schon das Bedürfniss, sie leichter zu machen, ohne