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fuß von dem angeblich zwischen 1407 bis 1446 am Baue des Domes beschäftigt gewesenen
Baumeister Anton Pilgram aus Brünn herrühren, wozu er sich durch die Behauptungen
der Schriftsteller Reilfenstuel, Tilmez, Fischer, Ogesser u. s. w. verleiten ließ ').
Tschischka begründete sein Eintreten für H. Pucbsbaum in seiner neuen, 1'843
erschienenen Auflage der Geschichte und Beschreibung des Domes durch Auszüge aus
der im Stadtarchive aufbewahrten Kirchenrechnung vom Jahre 1430, aus welchen that-
sachlich zu entnehmen ist, dass unter Leitung des Meisters Hans von den Steinmetzen
Andreas Grabner, Conrad von Himberg, Peter von Nürnberg, Georg Achmülner, Hans
Beham und Hans von Vartzheim an einem Predigtstuhle gearbeitet und von dem
Schlosser Niclas dem Scherrübl der Kranz auf denselben geliefert wurde. Den Nachweisen
Tschischkrfs trat Josef Feil in seinen kritischen Beiträgen zur Baugeschichte von St. Stefan
(Sclimidls -Oesterr. B]. für Literatur und Kunst-i, J. 184.4) entgegen. Derselbe schreibt
die Herstellung der Kanzel und eines Theiles des Orgelfußes dem Meister Anton Pilgram
aus Brünn mit folgender Begründung zu: In den Tafeln der Wiener Bau- und Steinmetz-
meister-Genossenschaft werde zum Jahre 1511 Anton Pilgram aus Brünn als Baumeister
bei St. Stefan aufgeführt, und auch im "Codex Austriacusa, ydoch ganz irrig, zum Jahre
1359 derselbe als Verfertiger des Predigtstuhles und des Orgelfußes bezeichnet. Im Hin-
blicke auf diese Daten könne jener Meister Anton, welcher den Baumeister Georg Oecbsel
(1495 bis 1510) vom Baue des Domes verdrängte, kein Anderer als Anton Pilgram sein,
und da sich auf der Kanzel wie auf dem Orgelfuße die gleichen Meisterzeichen vorfinden,
so habe dieser auch das letztere Werk vollendet, an der Kanzel sein eigenes und auf jener
des Orgeifußes gleichsam zur Sühne für seine Handlungsweise das Brustbild des Meisters
Georg Oechsel angebracht, und Kanzel und Orgelfuß seien zwischen 1506 und 1512 von
Anton Pilgram vollendet worden. Hiefür sprechen nach Feil's Anschauung auch kunst-
historische Momente, indem der stilistische Charakter des Aufbaues und der flguralischen
Darstellungen der Werke weit mehr in .den Anfang des 16. als die erste Hälfte des
15. Jahrhs. passen. Der Anschauung des Historikers J. Feil hatten sich seither alle neueren
Schriftsteller und sicher mit vollem Rechte angeschlossen. Wenn. was Tschischka selbst
zugibt, Kanzel und Orgelfuß das Werk Eines Meisters sind, so können beide nicht vor dem
Jahre 1467 erbaut worden sein. weil ungefähr in diesem Jahre erst mit dem Aufbau: des
nördlichen Thurmes begonnen wurde und daher geraume Zeit danach derOrgelfuß angebracht
werden konnte. Nicht bloß die Kanzel, sondern auch der Orgelfuß zeigen alle Merkmale
der Spitgothik, und beide Werke stimmen in der Ornamentik wie in der Proßlirung ein-
zelner Theile auffallend überein. Ja selbst das MaBwerk und die Gliederung der Fialen an
jenem Stockwerke des unausgebauten Thurmes, welches, wie die eingemeißelten Jahres-
zahlen bezeugen. in den Jahren 1502 und 1507 angefertigt wurde, zeigt die Formen an
der Kanzel. Was das gewichtigste Argument Tschischka's, nämlich die beglaubigte Er-
bauung eines Predigtstuhles, betritTt, so ist es sehr wahrscheinlich, dass im Jahre 1430
die sogenannte Capistran-Kanzel erbaut wurde, welche in Bezug auf die Einfachheit des
Aufbaues und die stylistisclie Strenge der decorativen Theile in diese Zeit vollständig
hineinpasst. Denn als Capistran seine berühmten Predigten begann, musste schon die Kanzel
bestanden haben; die Annahme ist gar nicht zulässig, dass erst seinetwegen der Bau der-
selben in Angriff genommen wurde.
ln dem Zustande, als die Kanzel noch vor zwei Jahren tvar, konnte von einer voll-
ständigen künstlerischen Wirkung des Meisterwerkes nicht die Rede sein. Von allen Kunst-
freunden wurde es beklagt. dass sich zahlreiche Spuren der Verstümmelung zeigten, dass
sie mehrerer Statuen und zahlreicher feiner Architekturtheile beraubt und mit einer grauen,
hässlichen Oelfarbe überstrichen wurde, wahrscheinlich in derselben Zeit der ersten Hälfte des
18. Jahrhunderts, als die damaligen superklugen Restauratoren sich nicht damit begnügten.
die Wände, Pfeiler und Baldachinliguren sorgfältig zu reinigen, sondern es vorzogen, die-
selben mit einem grauen Anstriche zu versehen, nachdem man schon weit früher den
größten Theil der Glasgemalde entfernt hatte, damit die Kirche günstiger beleuchtet werde.
Zu diesen Mängeln kamen aber noch bedenklichere Gebrechen. ln Folge der verschiedenen
Belastung hatte sich die Kanzel von dem Pfeiler gänzlich losgelöst und musste seit langer
Zeit gestützt werden. Es lag daher die Gefahr eines gänzlichen Verfalles dieses herrlichen
Werkes nahe, wenn nicht durch eine gründliche Restauration Abhilfe geschaffen wurde.
Die Munificenz des Staates und der Gemeinde Wien, welche bis zum Schlüsse des
Jahres 1879 die Mittel zur Restauration des Domes zur Verfügung stellten, unserem aus-
') Diese Autoren beriefen sich, wie Tschischka bemerkt, auf Manuscriple bei St. Stefan,
welche Pilgram als Schöpfer der Kanzel bezeichnen. Wahrscheinlich sind - was Tschischka
und Feil unbekannt war - unter diesen Manuscripten die Beschreibungen der Kirchen
und Kloster Wiens von dem Domherrn Testarella aus dem Schlusse des siebzehnten
Jahrhunderts gemeint,