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sie es von Jugend auf gesehen hatten, ohne zu klügeln und abzuwägen,
ohne zu ahnen, dass sie Etfecte hervorbrachten, welche einst mit großer
Aufmerksamkeit würden studirt werd'en.
Nichts kann uns eindringlicher predigen, wie weit wir, gerade die
Gebildeten, während des letzten Jahrhunderts in Sachen des Kunstgefühls
zurückgeworfen worden sind; nichts deutlicher das Ziel zeigen, welches
zu erreichen wir bestrebt sein müssen. Was wir an dem Teppichknüpfer
im Orient am meisten bewundern, was wir an ihm beneiden, die Unbe-
fangenheit und Sicherheit in den Farbencombinationen, dessen könnte sich
auch so mancher Hafner im Abendlande rühmen, freilich in Gegenden,
welche abseits der Verkehrscentren liegen. Wie jener an einem Webstuhl
von vorhomerischer Einfachheit arbeitet, ist dieser unberührt geblieben
von allen Verbesserungen, welche Mechanik und Chemie in die Thon-
industrie gebracht haben, seine Farbenpalette ist äußerst beschränkt, aber
wie er die wenigen Töne init wenig Kunst hinsetzt, so stimmen sie zu-
sammen, gleich denen der wildwachsenden Wiesenblumen. Vergleichen wir
die bunten Gefäße, welche in Vorderasien nach Art der rhodischen oder
persischen gemacht werden, die Krüge, welche die Stube des sächsischen
Bauers in Siebenbürgen schmücken (wer erinnert sich nicht, sie in langen
Reihen in dem sächsischen Hause der Ausstellung von 1873 gesehen zu
haben), die mancherlei Geschirre aus Calabrien, die aus dem Schwarzwalde
stammenden u. s. w.; überall die gleiche glückliche Keckheit in Zeichnung
und Färbung. Nun kommt der einsichtige Künstler oder Fabrikant über
die Sachen, merkt ihnen die Geheimnisse ihrer Wirkung ab, eignet sich
dieselben an - dieselbe Wirkung erreichen kann er nicht. Die einsichtigen,
künstlerisch gebildeten unter unseren Fabrikanten sind auch gar nicht in
Zweifel darüber, weshalb sie es nicht können. Machen sie ein Kunstproduct
höherer Gattung daraus mit strenger Zeichnung, wohlabgewogener Anord-
nung, so ist das natürlich etwas ganz anderes; neben den unbestrittenen
Vorzügen mangelt ihm doch der Reiz der Naivetät; und der heutige
Arbeiter ist wohl gewöhnt, eine Vorlage so treu als möglich zu copiren,
nicht aber innerhalb weiterer Grenzen sich selbstständig frei zu bewegen.
Auch das liesse sich durch Beispiele in Menge belegen. Was sich in der
zuversichtlichen Schöpfung des bescheidenen Hafners ausspricht, wird in
der ängstlich abgezirkelten Nachbildung des Fabriksarbeiters uninteressant,
die Unvollkommenheit, z. B. im Zeichnen des Figuralen, an der wir dort
keinen Anstoß nehmen, wird beleidigend.
Aehnlich verhält es sich mit vielen älteren Majoliken und Fayencen.
Es kann Niemandem einfallen, alles Gefällige und Originelle an solchen
Arbeiten als aus bewusster Absicht entstanden anzusehen. Eine besonders
elfectvolle oder interessante Glasur ist höchst wahrscheinlich durch den
Zufall zuwegegebracht und dem Verfertiger vielleicht nicht zum zweitenmal
gelungen; oder er kam doch erst nach vielen Experimenten darauf, dass
etwa ein Luftzug während des Brandes die neue Farbennuance geschaffen