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Die Pfianzenarabeske ist, wie gesagt, die idealste Verkörperung des
Pßanzenwuchses und in ihrer Gestaltung frei und unbeschränkt wie die
ewig schaffende und bildende Natur.
Eines der schönsten Exemplare dieser Gattung ist an dem Prälaten-
grab in der Kirche Sa. Maria del popolo in Rom von der Meisterhand
des Andrea Sansovino. Von einem Mittelpunkt aus, der durch eine Maske
und darüber angebrachte Füllhörner mit pickenden Tauben etc. bezeichnet
wird, gehen zwei Pflanzenstengel in ungemein graziösen Windungen nach
den beiden Seiten auseinander, setzen leicht geschwungene Blätter und
Ranken an und schließen in prachtvollen Blumendolden ab. Die ganze
Art dieser Composition gleicht einem frisch und harmonisch klingenden
Lied ,' das in weichen Modulationen vom leisesten Piano bis in's stärkste
Forte abwechselnd fortklingt und harmonisch und wohlthuend ausklingt.
Ebenso graziös und fein empfunden ist die aufsteigende Pflanzenarabeske
der italienischen Renaissance. Die mit ihr verzierten Pilaster gewinnen
dadurch ein ideales pflanzenartiges Gepräge, und wenn wirklich die tem-
poräre Ausschmückung der Kirchen- und Palastportale mit geschmückten
Bäumen etc. dazu Veranlassung gegeben haben soll, was aber höchst
unwahrscheinlich ist, so klingt in solchen Bildungen diese Abstammung
kaum mehr durch. Sie sind ganz selbständige, freie Schöpfungen einer
üppig und doch in strengsten Grenzen sprudelnden Phantasie, einer Phan-
tasie, die wie ein lustiges Lied in allen Variationen sich bewegt und doch
stets den Grundton durch alle diese Variationen und Schwingungen be-
wahrt und einhält. Nicht nur aber die Pilaster, auch andere verticale
Flächen werden mit diesem Ornament geschmückt, und schließlich sehen
wir dasselbe auch die Säulen in äußerst zierlicher Anordnung umschlingen.
Ein Beispiel vom Letzteren sehen wir an dem schon erwähnten Prälaten-
grab von And. Sansovino.
ln allen diesen aufsteigenden Pflanzenarabesken lässt sich in Bezug
auf die Composition die Regel verfolgen, dass eine fortwährende Steigerung
vom Schweren zum Leichten, vom mehr Massiven bis zum ätherisch Luf-
tigen stattfindet. Ausgehend von einem Laubgebilde, sehr häufig einem
schön stilisirten Akanthus oder einer Vase als Unterlage, winden sich die
Püanzenstengel, entweder in symmetrischer Anordnung doppelt um einen
Mittelstab oder Kandelaber gruppirt, oder in freier Verästelung empor,
schmücken sich mit Kränzen, Schildern, Tafeln etc. und endigen oben mit
zarten Zweigen, worauf Vögel sich lustig schwingen, in Schalen, worauf
Feuer brennt, in geflügelten Gestalten und anderen Elementen, welche
eine scheinbare Verbindung dieser Abschlüsse mit der freien gewichtlosen
Luft bewerkstelligen.
Diese Pflanzenarabeske erfährt durch complicirtere Zusammenstellung
eine ungemein große Mannigfaltigkeit. Namentlich geschieht dies durch
Einfügung von figürlichen Darstellungen, durch Anbringen von vollstän-
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