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bischen Schrift neue Abarten derselben entstehen. Sie wurden geschaffen
für alle Verhältnisse des privaten und öffentlichen Lebens: für jede Art
von Urkunden, wie Verträge, Schutzbriefe, obrigkeitliche Erlässe, officielle
Staatsschriften, gerichtliche Documente, Pässe u. s. w., wurden eigene
Schriftgattungen erfunden, geradeso wie im osmanischen Reiche, wo noch
heute dem besonderen Kanzleistyle eine eigene Kanzleischrift zur Seite
steht. Aber auch die Briefe der Chalifen an fremde Herrscher, an ihre
Statthalter oder Emire unterlagen diesem Zwange. Gar bald trat die
Unmöglichkeit für den Einzelnen 'ein, sich alle Schriftarten anzueignen,
von denen iede durch eigene Stammbäume auf die Urschrift zurückzu-
führen war. _
Es darf also keineswegs Wundervnehmen, wenn ich neben den paar
Hunderten mir vorliegenden Schriftgattungen für die kritisch übersicht-
liche Darstellung der Entwicklung des arabischen Alphabets nunmehr
schon an 6ooo verschiedene Verbindungsformen seiner 28 Buchstaben
nachzuweisen vermag. Diese Zahlen sprechen deutlich. Eine Schrift,
welche solch' grossartige Entwicklung erfahren hat, muss auch zur Zeit
ihrer Blüthe nicht sowohl durch ihre Träger, als auch in ihrer socialen
Anwendung zu einer besonderen Bedeutung emporgehoben worden sein.
Und dies ist wirklich der Fall 5). Freilich hat auch hier die Mode viel,
wenn man will Alles, verschuldet. Sie beherrschte das Individuum, Mann
oder Weib, buchstäblich von der Sohle bis zum Scheitel; denn es gab
(gleichwie in unsern Tagen) auch im lsläm Beispiele dafür, wie der
Wahnsinn der Mode selbst an dem natürlichen Haarschmuck sich
vergrilf. Aaledsch, eine der gefeiertsten Schönheiten Bagdäd's -- so er-
zählt uns der im Jahre 93g n. Chr. verstorbene ausgezeichnete Spanier
lbn Abd Rabbihi in seinem lkd el-farid nach einer sicheren Ueberlieferung
- gefiel sich darin öHentlich zu zeigen, indem ihre schwarzen Haare mit
schmachtenden Versen in weisser Schminke beschrieben waren. Nicht
genug! Eine andere Dame schrieb nach derselben Quelle, mit Henna (der
rothen Nägelschminke) in ihre hohle Hand einen Vers, um ihn nur sagen
zu lassen, wie das zarte Weiss ihrer Hand die Schönheit des Henna er-
höhe, nicht aber umgekehrt, dass es desselben zur Hebung der eigenen
Reize bedürfe.
In diesen Beispielen charakterisirt sich klar der Drang eines schreib-
lustigen Volkes. Es genügte ihm nicht, das Individuum selber an den
Schuhen, Kleidern, Binden, Bändern, Gürteln, Mützen, Hauben, Schleiern
oder - in seiner kriegerischen Erscheinung - an den Waffen und Rüst-
i
s) Der berühmte arabische Geschichtsphilosoph lbn Chaldün (dessen Allgem.
Gesch. Band l der Buläker Ausg. pag. 348 f.) entwickelt die Bedeutung der arabischen
Schrift sehr anziehend vom philosophischen Standpunkte aus. Man denkt unwillkürlich an
gewisse statistische Ausweise unseres civilisirten Erdkreises, wenn man liest, wie der
Araber des XIV. Jahrhunderts die Schreibkunst als eine Eigenheit des Menschen erklärt,
wodurch derselbe sich von dem lieben Vieh unterscheide.
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