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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe XI (1876 / 128)

könnten. Die Wissenschaft des Spitzenfaches ist zur Stunde noch kaum 
im Embryo vorhanden, die allerwichtigsten Gesichtspunkte sind noch kaum 
in Betracht gezogen und ein wahres Chaos herrscht in seiner Terminologie. 
Ueber den Ursprung aller, auch der vollendetsten Sorten eines spä- 
teren raflinirten Costümewesens gibt die Spitze der mannigfachen euro- 
päischen Hausindustrien, welche sich zum Theil wohl noch erhalten hat, 
Fingerzeige. Die Ausstellung ist mit ungarischen, mährischen, böhmischen, 
krainerischen, russischen, dänischen und schweizerischen Bauernspitzen 
sehr gut versehen und liefert mit anderen aus Brasilien und Madeira 
weiter den Beweis, dass hüben wie drüben des Oceans die primitivsten 
Techniken völlig die nämlichen gewesen, dass Netzarbeit und Ausziehen 
der Fäden aus dem schon fertigen Gewebe (woraus denn bei den Italienern 
das schöne Punto tirato seinen Ursprung genommen) zu allen Arbeits- 
arten die ersten Stufen gebildet haben. Den Orient vertreten die plasti- 
schen Seidenspitzen Smyrna's rnit ihren geöffneten Blurnenglocken in 
Tulpenform und die unsäglich mühselige Nadelarbeit der persischen Frauen, 
die in ihrem Styl an architektonische Elemente des Islams sich anhält. 
Das Muster erinnert nämlich immer an das Gitterwerk von Fensterver- 
schlüssen im altarabischen Wohnhause. i 
Endlich wurde auch die moderne Spitze herbeigezogen, urn Vergleiche 
ihres Werthes mit dem der alten zu ermöglichen; ferner, da dieselben 
voraussichtlich nicht zu Ehren Ersterer ausfallen konnten, um den Indu- 
striellen. die Stickerei- und Spitzenschulen auf die gediegenen Vorbilder 
hinzuweisen, die uns durch die vergangene Production hier vor Augen 
gestellt werden. Ausgezeichnete neuere Spitzen überliessen vornehmlich 
Erzherzog Karl Ludwig und Erzherzogin Maria (Rainer), ferner Prinzessin 
Therese Liechtenstein und Gräfin Larisch. 
In Oesterreich wird gegenwärtig an der Hebung dieses Kunstindustrie- 
zweiges rührig gearbeitet. Wir besitzen noch im böhmischen Erzgebirge, 
in Idria bei Laibach, in der Gegend von Fünfkirchen und an anderen 
zahlreichen Orten Ungarns, in der mährischen Karpathengegend sowie in 
Tirol eine lebendige Hausindustrie im Spitzenfache, in Graz und in Vor- 
arlberg aber wird Ausgezeichnetes in Weißstickerei hervorgebracht. Das 
Handelsministerium hat durch Gründung von Fachschulen bereits viel für 
die künstlerische Veredlung solcher Thätigkeiten gethan, mehr noch ist 
im Zuge Tund daher das Zurückgehen auf alte classische Beispiele in 
erster Linie dringendes Erforderniss. Auch dazu hat die Spitzenausstellung 
gedient und ihren Zweck zu erreichen vermocht. Möge diesem guten 
Anfang weitere Nachahmung nicht ausbleiben; sie kann dem Studium 
der Cultur- und Kunstindustrie, der Erörterung des Geschmacks und der 
Besserung noch blühender Fabricationen auf demselben Gebiete allen Orten. 
nur förderlich werden. (F. Z.) A. llg.
	        
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