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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe XI (1876 / 128)

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wesentlich beitragen zum Vliachsthume der Städte, wo sie sich als zünftiger Kern des 
Bürgerstandes bald kaiserlich verbriefter Rechte erfreuen; so in Hannover, Magdeburg, 
Strassburg und bereits seit dem dreizehnten Jahrhunderte auch in NVien. Die Reimchronik 
Ottokars, die Aufgebotsordnung von 1415 und das noch nicht gehorig gewürdigt: Innungs- 
buch von 1430 im hiesigen Stadtarchive werfen die lehrreichsten Schlaglichter auf die 
stattliche Zahl von Handwerkern und den Betrieb der überraschend verschiedenartigen 
Gewerbe. Es lasst sich ein ziemlich paralleler Gang mit Mainz, Cöln und Nürnberg ver- 
folgen von der gesellschaftlichen Hebung des Handwerkers von der untersten Stufe bis 
zu jener Höhe des Bürgerstandes, von der im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderte 
ein neuer Geist der Bildung sich über ganz Europa verbreiten sollte. Doch kam in Oester- 
reich die Blüthe des kleinen und Kunstgewerbes nie in ihrer Reinheit zur Ausbildung. 
Seine vorgeschobcne Lage gegen Osten. die beständigen inneren und ausseren Kämpfe 
und, man muss wohl sagen, manche verfehlte Eingriffe liessen es verbaltnissmässig gegen 
Deutschland zurückbleiben. Die Städte Enns, Steyer, Neustadt, Graz und Innsbruck hielten 
sich nur auf dem Niveau der Mittelmässigkeit. Wien selbst macht allerdings eine glänzende 
Ausnahme, und Aeneas Silvius Piccolomini, der nachmalige Papst Pius II., konnte 1453 ' 
mit vollem Rechte schreiben: vBeim Eintreten in ein Wiener Bürgerhaus glaube man, 
in den Palast eines Fürsten zu kommenm So sehr wetteiferten Bürger und Adeli e in der 
Ausstattung 'ihrcr Kleidung und Wohnung, dass der Bedarf des Luxus durch eimische 
Erzeugnisse nicht mehr befriedigt und vielfach (wohl auch unter dem Einflüsse der Mode) 
durch die Einfuhr aus Deutschland, den Niederlanden und Italien gedeckt werden musste. 
Das verhältnissmassige Zurückbleiben des gewöhnlichen und des veredelten Gewerbes in 
Oesterreich hat aber gleichzeitig bewirkt , dass der gewaltige Umschwung, der sich im 
sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderte mit dem deutschen Gewerbe vollzog, sich hier 
nicht so verderblich geltend machte. Seit der Entdeckung des Seeweges nach Ost- und 
West-Indien konnte Deutschland der Concurrenz von Frankreich und England nicht Stand 
halten. Der Verfall nahm einen erschrecklich jähen Verlauf, dem bei der überhandneh- 
menden Indolenz bezüglich Nord-Deutschlands kaum die äussersten Anstrengungen der 
brandenburgischen Fürsten Einhalt gebieten konnten. Deren Ziel war eben, die franzö- 
sische Ueberlegenheit durch französische Waffen zu besorgen mittelst einsichtiger Fliege 
jenes Systems der inneren Wirthscbaft, welches von den französischen Königen seit Hein- 
rich IV. geübt und von dem Minister Colbert zu seiner Hohe gebraeht wurde. Regierungs- 
rath Neumann führte seinen Zuhörern die volkswirthschaftlichen Refon-nen jenes Staats- 
mannes, ihre Principien und die Art ihrer Durchführung vor Augen. Er that dies alles mit 
ziemlicher Ausführlichkeit, weil ohne deren richtiges Verstandniss eine Bcurtheilung jener 
heilsamen Massnahmen unmöglich ware, welche Kaiser Leopold I. zur Hebung des öster- 
reichischen Gewerbes ergriff. 
Die bestandigen Kriege mit Frankreich, den Türken und den ungarischen Malcon- 
tenten, dazu die dreiundzwanzigjährige Finanzgebahrung des Hotkamrnerpräsidenten Sin- 
zendorf hatten die Staatsmittel vollständig erschöpft. Alle Regalien, Zölle "und Staatsgüter 
waren verpßndet, die Schuldenlast konnte gar nicht festgestellt werden; der Wohlstand 
der Bevölkerung hatte furchtbar gelitten, allenthalben trat ein empündlicher Mangel an Hand- 
werkern hervor und der Auswanderungslust musste mit Gewalt gesteuert werden. Wie 
konnte es aber mit dem heimischen Gewerbe besser stehen, da in allen Schichten der 
Gesellschaft eine beispiellose Vorliebe für alles Ausländische, besonders alles Französische 
platzgegriffen hatte und jährlich ganz kolossale Summen aus dem Lande führte. Da ist 
die Antipathie des Kaisers, der für jene Missverhaltnisse offenen Blick hatte, gegen Frank- 
reich begreiflich; gleichzeitig strebte er aber, nach den Rathschlagen des Grafen Jörger, 
des Freiherrn v. Schröder und des Commercienrathes Becher, die in Frankreich von so 
grossartigem Erfolge begleiteten wirthschaftlichen Refonnen Colberts im eigenen Lande 
zur Hebung des darniederliegenden Gewerbes und Wohlstandes einzuführen. Die einsei- 
tige Autfassung des Prohibitivsystemes, die unglückliche Wahl der Personen, Welchen 
die Durchführung der Reformen übergeben ward, persönliche Zwistigkeiten der zahlreich 
vom Auslande zur Schulung der heimischen Krafte berufenen Künstler, die schiefen Mass- 
regeln Sinzendorfs und immer wieder- der Krieg legten jedoch die besten Plane des Kaisers 
und seiner Rathe lahm. So ging unter Anderem das Werkhaus in Wien, welches als 
eine Art Kunsrgewerbeschule wirken sollte, bald wieder zu Grunde; nur in Sachen der 
Wissenschaft und der grossen Kunst wurde trotz aller Widerwartigkeiten der damals 
gelegte Keim nicht ertödtet. Die Bibliothek des Kaisers, unter der Leitung des bekannten 
Lambecius, gedieh vortrelflich, die Münz- und Antikensammlung bildete bald einen aus- 
giebigen Stock für das kaiserliche Kunstcabinet und die zahlreichen Gemälde, welche der 
Kaiser von seinem Oheim Erzherzog Leopold erbte, für das spätere Belvedere. Endlich 
wurde dem früheren Hofmaler des Pfalzgrafen bei Rhein, Peter Strudel, die Einrichtung 
einer Akademie der bildenden Künste übertragen und 1701 konnte dieselbe erölfnet werden. 
Durch ein merkwürdiges Zusammentreffen sollen unter ähnlich misslicher wirthschaftlicher 
Lage der Gesellschaft wie vor zweihundert Jahren ijene Schöpfungen Kaiser Leopolds in
	        
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