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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe XIX (1884 / 223)

Der Gegenstand dürfte manchen der hochgeehrten Anwesenden als 
ein neuer erscheinen, trotzdem er bereits über 200 Jahre hervorragende 
Volksfreunde und Pädagogen beschäftigte und immer wieder an die Ober- 
fläche trat, wenn große sociale Reformen im Werke waren; einigemale, 
um auf Jahrzehnte hinaus segensreich für große Kreise zu wirken, meist 
aber, urn wieder mit dem Tode seines Verfechters in den Hintergrund 
gedrängt zu werden. 
Nur nach zwei Seiten hat er nach mehrhundertjährigem Kampf einen 
bleibenden Erfolg zu verzeichnen, um gegenwärtig, nach wenigen Jahr- 
zehnten, in seiner Durchführung für selbstverständlich und unanfechtbar 
zu gelten. 
Es ist dies die Einführung der weiblichen Handarbeiten in den 
Unterricht der Volks- und Bürgerschulen. 
Man erklärt heute: Die Schule hat das Mädchen für das Leben 
vorzubilden; die Lebenssphäre der Frau ist in den allermeisten Fällen 
das Haus; um einem Hauswesen vorzustehen, muss die Frau die Arbeit 
lieben und schätzen und selbst arbeiten können, nur so werde sie ihrem 
Berufe zu entsprechen vermögen. Die Schule, welche als Gehilfin des 
Elternhauses auch dessen Zwecke verfolgen muss, darf sich der Aufgabe 
nicht entschlagen, dem Mädchen Lust, Verständniss und Geschicklichkeit, 
Anstelligkeit zur Arbeit zu vermitteln. 
Auch für das vorschulpflichtige Alter der Knaben und Mädchen 
wird der Werth der Arbeit anerkannt. Einmal, um dem Thätigkeitstrieb 
der kleinen Wesen zu genügen, dann um die kleinen Händchen gelenkig 
zu machen, lässt man diese flechten, falten, bauen, rnodelliren, Stäbchen 
legen und wie all' die sogenannten Kindergarten-Beschäftigungen heißenÄ 
Hier hält man die Arbeit für ein wesentliches Erziehungsmittel; nur im 
schulpßichtigen Alter der Knaben. glaubt man ohne dieses Mittel, ohne 
die physische Arbeit den Zweck der Erziehung erreichen zu können, den 
Knaben auch für alle Verhältnisse des praktischen Lebens genügend vor- 
bereitet zu haben. 
Wie ungeschickt und unpraktisch erweist sich aber nicht ein 14-, 
ISjähriger Junge? Man hilft sich freilich über diese Erscheinung meist 
mit dem tiefsinnigen Ausspruch hinweg: "Er ist halt in den Tölpel- 
jahrenlw 
Warum zeigt sich aber das rSjährige Mädchen meist recht anstellig 
zu allen häuslichen Geschäften? - weil es arbeiten gelernt hat. Warum 
verliert es nicht die Geduld, an einer Arbeit wochenlang zu sitzen? - 
weil es sich daran gewöhnt hat. Keine Regel ohne Ausnahme. Mancher 
Knabe, der durch die höheren Schulen läuft, erwirbt nie eine Geschick- 
lichkeit der Hand; dabei verlernt er noch ordentliche Schriftzeichen zu 
machen und gewinnt so bald den äußeren Anstrich des unpraktischen 
und schlechtschreibenden Gelehrten, wie er von den Romanschriftstellern 
und Dramatikern gerne gezeichnet wird.
	        
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