Es ist Michelangelo gelungen. die Welt mit seinen schier über-
menschlichen Meisterwerken zu überraschen. Aber auch eine Reihe
Studienblätter sind auf uns gekommen, und diese kostbaren Reliquien
zeigen uns deutlich, wie auch er ganz in gleicher Weise, wie so viele
andere große alte Meister, studirte und wie er componirte; und an dieses
probate Recept wollen wir uns halten.
Michelangelo hat sich bekanntlich auch seine eigene Weise architek-
tonischer Formgebung geschaffen. Zu Florenz in der Casa Buonarroti
befinden sich nun einige Studienblätter ausschließlich über Kranzgesimse.
Ausgehend vom Normalprofile desselben skizzirte der Meister nebenein-
ander zahlreiche Varianten, welche alle denkbaren Umstellungen der
Einzelglieder und Umformungen derselben enthalten. Der Vorgang ist
geradezu mathematisch wie durch Combinationsrechnung geleitet und
heute noch ist aus diesen förmlich redenden Linien, aus diesen Zeugen
seines Nachdenkens noch der ganze Gedankengang herauszulesen. Man
sieht, wie er alle Möglichkeiten im Großen überschlagen, wie er sie im
Detail verfolgt, wie er einzelne Fährten bald verließ, weil sich zeigte,
dass die ganze Gruppe zu keinem Resultat führen könne, während er
andere Combinationen in zahlreicheren Formen variirte, bis er endlich
zu einer Ueberzeugung kam, was sich hier überhaupt thun lässt und
sich seine Form wählte.
Ebenso studirte der Meister alle Möglichkeiten der Wendung einer
Haarlocke und wir würden sehen können, dass er überhaupt Alles und
Jedes, was in seinen Werken vorkommt, nach derselben Methode nach
allen Varianten durcharbeitete, wenn seine vielen Studienblätter bis auf
uns gekommen wären.
Auf anderem Kunstgebiete, nämlich in der Musik, machte es Beet-
hoven gerade so. Seine noch erhaltenen paar Studienblätter zeigen, wie
er oft zu einem einzigen Uebergang von nur zwei, drei Tacten zehn bis
zwanzig Varianten niederschrieb, eine neben die andere, um sie alle
untereinander vergleichen und abwägen zu können.
Beachtenswerth ist noch, dass die Meister, welche so verfahren,
wenn sie denselben Gegenstand durchstudiren, auch meist auf dieselbe
Reihe von Combinationen verfallen, ohne deshalb im entferntesten von
einander abzuschreiben. Es sind das eben alle diejenigen Combinatiunen,
welche überhaupt möglich sind und die somit beim Durcharbeiten auch
mit zwingender Nothwendigkeit von selbst entstehen.
Diese Reihenfolgen der Combination sind es denn auch, welche die
Möglichkeiten einer bestimmten Kunstrichtung mit mathematischerGenauig-
keit endlich erschöpfen, welche allein Rechenschaft geben, 0b man wirklich
etwas Neues gefunden hat, welche den logischen Fortschritt der Kunst
überhaupt in sich schließen und endlich nach Erschöpfung aller Möglich-
keiten, zur Aufsuchung neuer Grundideen drängen und auf diese Art
sogar neue Stylrichtungen vorbereiten.