19a
stellen, Wechsel der Richtung, Wechsel der Lage gegen die Symmetrie-
axe etc., so ergeben sich alle möglichen Fälle wie durch Rechnung,
können daher förmlich abexaminirt werden und auf Grundlage dieser
Anleitung nun die Schüler eine Compositionsaufgabe erhalten. An diese
lassen sich dann die "Belehrungen über Linienführung, Massenver-
theilung etc.u, wie es der Eingangs citirte Lehrplan fordert, erst mit
Nutzen anknüpfen, denn wenn irgendwo so gilt hier in voller Kraft
der Satz: Durch Fehlen lernt man.
Jede Ornamentregel ist nämlich vom Hause aus eine negative,
d. h. sie ist nicht von Meisterwerken abgeleitet, sondern von verfehlten
Producten", sie ist erst durch den unangenehmen Eindruck, den die falsche
Linienführung macht, bemerkbar und so entdeckt worden. Alle ästhetischen
Regeln dieser Kategorie sind auf diesem Wege durch die Kritik ent-
standen, denn das vollkommen durchcomponirte Gefüge ohne Fehler hat
das Eigene, dass den Sinnen daran nichts speciell auffällt. So ist es denn
auch unmöglich, dem Schüler an einem Meisterwerk der Ornarnentik die
Regeln der Linienführung klar zu machen. Reden kann man vor ihm
darüber allerdings und auswendig lernen könnte man es ihn auch lassen,
aber verstehen wird er es auf diese Art nicht. Z. B. die höchst einfache
Regel des senkrechten Stoßes sich durchdringender Linien kann man
allerdings an einer beliebigen Zahl von Fällen nachweisen. Den Grund
dieser Regel wird der Schüler aber erst dann fühlen und somit auch
begreifen, wenn man ihm eine recht schlechte Linienführung zeigt, die
auch sein Auge beleidigt und ihm zeigt, dass der unklare stumpfe oder
zu spitze Zusammenstoß der Linien daran Schuld ist, und dass sich Alles I
in Wohlgefallen auflöst, wenn man diesen Uebelstand beseitigt.
Kurz die im Lehrplan geforderten Belehrungen über die Linien-
führung sind gar nicht möglich ohne Compositionsaufgaben, denn nur an
der fehlerhaften Zeichnung lassen sich diese Regeln demonstriren, und
diese fehlerhafte Zeichnung ist eben der eigene Compositionsversuch des
Anfänger-s.
lst auf diesem Umweg die Regel begriffen, dann erst lebt sie, dann
erst werden die Meisterleistungen der Ornatnentik mit Bewunderung
betrachtet, gerne und auch richtiger (weil mit Verständniss) copirt.
Zufolge des eingeschlagenen Weges der systematischen Varianten-
bildung, wird es nun den Schülern klar, dass eine Anzahl Varianten nicht
ausführbar, weil bei ihnen eine gute Linienführung überhaupt nicht
möglich ist; andere wieder sind etwa technisch unausführbar. Somit bleibt
doch wieder nur eine verhältnissmäßig geringere Zahl übrig und diese
sind in der That diejenigen Muster, welche in der Kunstgeschichte eine
mehr weniger hervorragende Rolle spielen. So führt diese Methode des
Componirens schließlich zu den Typen der Zeichenvorlagcn und der
Gypsrnodelle, welche dem Schüler nun nicht mehr fremd gegenüber stehen
als ein wüstes Durcheinander von Allerlei aus lrgendwoher.