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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe XX (1885 / 232)

und nach einen Sinn für das Großartige im Publicum erweckt, der sich 
auf die gesammie AuHassung in Fragen der Kunst erstreckt. Gleichzeitig 
hat sich bei den unzähligen Arbeiten kunstindustriellen Charakters, welche 
die innere Ausstattung dieser Bauten erforderte, das Kunstgewerbe selbst 
mit einem architektonischen Formensinn erfüllt, der seine Aufgaben in 
großem Style zu erfassen versteht. Es ist jener kleinliche Geist fern ge- 
blieben, der an jenen Orten hervortritt, wo die Architektur sich bloB auf 
bescheidene bürgerliche Wohngebäude erstreckt, und die Kunstindustrie 
niemals in die Lage kommt, großartige Aufträge mit einer Umgebung in 
Harmonie zu setzen, in welcher alle Künste ihre vollsten Accorde an- 
schlagen. 
Die Wandlungen, welche die Wiener Architektur und mit ihr die 
Kunstindustrie im Laufe zweier Decennien durchgemacht, sind uns Allen 
zur Genüge bekannt. Wir haben mit der italienischen Renaissance be- 
gonnen, sind um die Mitte der Siebziger Jahre auf die deutsche Renaissance 
übergegangen und pflegen gegenwärtig vorzugsweise den Barockstyl. Der 
Uebergang zur deutschen Renaissance erfolgte wesentlich auf Anregung 
aus Deutschland. Das große Einigungswerk der Nation war vollzogen, die 
Politik wirkte zurück auf die Kunst. Hatte man früher sich in verschie- 
denen Stylarten versucht, und war auch in Deutschland die Reform des 
Geschmackes von den edlen Vorbildern der italienischen Renaissance 
ausgegangen, so erfand man nun. das Schlagwort vom nationalen Styl 
und gab die Parole aus. dass die deutsche Kunst dort wieder anknüpfen 
müsse, wo sie in ihrer Entwickelung durch den dreißigjährigen Krieg 
unterbrochen wurde. Uns in Oesterreich aber prophezeite ein feiner Be- 
obachter auf dem Gebiete vaterländischer Kunst damals schon, dass die 
Architektur bald zum Barockstyl übergehen werde. Eine Prophezeiung, 
die seither in Erfüllung gegangen, während dagegen die Schlussfolgerung, 
dass im Barockstyle die Anknüpfungspunkte für eine wahrhaft moderne 
Kunst, für einen Styl des neunzehnten Jahrhunderts, liegen, sich kaum 
bewähren dürfte. 
Wollen wir sehen, welche Resultate die Reformbestrebungen in 
Deutschland zu Tage gefördert haben, so müssen wir die zwei Haupt- 
orte deutscher Kunst, Berlin und München gesondert betrachten. Die 
Stellung, welche die Architektur an beiden Orten einnimmt, ist auch 
hierfür das Kunstgewerbe von größter Bedeutung. Wenn irgendwo 
durch ein gegentheiliges Experiment sich die Theorie bewährt, dass der 
Architekt derjenige ist, welcher als Lehrer und kunstgewerblicher 
Zeichner maßgebenden Einfluss auf die Kunstindustrie auszuüben berufen 
ist, so ist dies in München der Fall. Hier beherrscht die Malerei das 
künstlerische Schalien auf allen Gebieten. Die Malerei beeinflusst die 
Architektur in ungewöhnlichem Maße, sie beherrscht die Auffassungs- 
weise in der Plastik derart, dass selbst ein so hochbegabter Bildhauer 
wie Gedon bis in sein innerstes Künstlerherz von ihrem Geiste durch-
	        
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