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drungen war; ihr vorwaltender Einfluss ist auch in den kunstgewerb-
lichen Erzeugnissen deutlich zu erkennen. Willkür, Vernachlässigung der
constructiven Gesetze und Ueberladung an Stelle edler, reiner Formen
sind die Schäden, welche aus diesem Zustande entspringen. lm engsten
Zusammenhange damit steht die fast ausschließliche Pflege und hohe Be-
wunderung, welche dort der deutschen Renaissance zu Theil wird. Hat
ja dieser Styl in malerischen Wirkungen seine wesentlichsten Reize. ln
architektonischem Geiste gepflegt, wird er auch seinen vollgiltigen Werth
im Reiche der Kunst niemals verlieren. Der beste Beweis dafür sind in
München selbst die wahrhaft mustergiltigen Leistungen an der dortigen
Kunstgewerbeschule. Wenn jedoch malerisches Empfinden sich seiner
bemächtigt, führt er unwillkürlich zu barocken Erscheinungen, wie wir
sie in der That in Hunderten von Münchener Illustrationen, kunstgewerb-
lichen Erzeugnissen und Augenblicksdecorationen finden. Wenn nach-
träglich von dortigen Kunstschriftstellern zur Vertheidigung der Mün-
chener Renaissance wohlklingende Phrasen in's Feld geschickt werden,
so sind diese keineswegs geeignet, unseren Widerstand zu brechen. Denn
wenn es heißt, dass das Schwere und Wuchtige dieses Styles der derben
Geradheit des oberbairischen Volksstammes entspräche, dass in den will-
kürlichen Schnörkeln und all" dem unklaren bunten Detail die gemüths-
tiefe Phantastik des Deutschen zum Ausdruck komme, und endlich sogar
die Behauptung aufgestellt wird, dass die deutsche Renaissance viel
männlicher und stolzer sei als z. B. die italienische, so gehört nicht viel
Scharfsinn dazu, die Unhaltbarkeit solcher Sätze nachzuweisen. Nicht im
Glauben an dieselben hat die deutsche Renaissance dort so feste Wurzeln
gefasst und hält das künstlerische Urtheil derart gefangen, dass selbst
das Hässliche und Rohe aus dem sechszehnten Jahrhundert nachgeahmt
wird, sondern weil die Münchener Kunstindustrie im Großen und Ganzen
einem Geschmacke entgegenkommt, dessen Ursprung sich auf das Maler-
atelier zurückführen lässt. - Auf den Unbefangenen macht die Münche-
ner deutsche Renaissance den Eindruck einer des nothwendigen künst-
lerischen Ernstes entbehrenden Alterthümelei. Statt stimmungsvoll zu
wirken, erweckt sie dann die unbehagliche Empfindung des Contrastes
mit dem modernen Leben und seinen Bedürfnissen. Sie erinnert lebhaft
an die vielverspottete Romantik der Dreißiger und Vierziger Jahre und
hat ihr gegenüber nur den Vorzug, dass weit mehr Talent und Con-
sequenz, ungleich ausgebreitetere Kenntnisse und Erfahrungen ihr zu
Grunde liegen. Ohne Zweifel ist es ein schönes Ding um die Naivetät
in der Kunst, und immer wird sie erquickend wirken, wo sie in ursprüng-
licher Frische uns entgegentritt, aber mit Absicht naiv sein wollen heißt
nichts Anderes, als Comödie spielen. Die Unwahrheit, die keineswegs im
Geiste der deutschen Renaissance liegt, in der Art aber, wie dieser Styl
in München häufig gepHegt wird, zum Vorschein kommt, ist es, die un-
seren Widerspruch hervorruft. Zu dieser Unwahrheit ist sie aber gelangt