GELEITWORT ZUM 30JÄHRIGES BESTAND
DES HAGENBUJiDES
Jeder Gedenktag führt in historische Betrachtung; er verknüpft
die Unbefangenheit des Seins mit der Bedingtheit des Werdens.
Auch wenn wir heute den dreißigjährigen Bestand des Künstler
bundes Hagen feiern, fühlen wir uns verlockt, seine Besonder
heit im Kunstleben Wiens aus denUmständen seiner Entstehung
zu deuten. Nicht der äußere Verlaufdieser Entstehungsgeschichte
ist dabei am bemerkenswertesten. Der Hagenbund ist eine Ab
spaltung von der Künstlergenossenschaft; er ist aus einer Tisch
gesellschaft von Künstlern hervorgegangen, die im „Blauen
Freihaus” des Gastwirtes Hagen ihren Stammsitz hatte; sie
blieb, nachdem die entschieden modern Gesinnten zur Gründung
der Sezession aus dem alten Stammverband ausgeschieden w aren,
noch eine Zeitlang als eine eigene, mit eigener Jury ausstellende
Gruppe im Künstlerhaus, von dem sie sich erst später voll
kommen loslöste und 1902 in der Zedlitzhalle ihr selbständiges
Heim bezog. Diese Stellung zwischen der konservativen Ge
nossenschaft und der als Organ radikaler Moderne gegründeten
Sezession hat dem Hagenbund bisweilen die Charakteristik der
„gemäßigten Moderne” eingetragen; diese trifft jedoch den
Kern des Bundes nicht, dessen Wesen überhaupt besser als durch
die Beziehung zu einer bestimmten künstlerischen Richtung
— konservativ oder modern —, durch seine Verjüngungs
fähigkeit zu kennzeichnen wäre. Eine schwere Krise in seiner
Geschichte hat ihm Gelegenheit geboten, sie zu bewähren; er
verlor 1912 sein Ausstellungsgebäude und konnte es erst nach
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