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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe XX (1885 / 239)

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Art noch so sehr vervollkomrnnet werden, ein Kunstwerk im wahren 
Sinne werden sie niemals zuwege bringen. Und was den Holzschnitt 
anbelangt, so dürfen wir wohl eher einen Vortheil darin sehen, dass ihm 
die Massenproduction gewöhnlicher Art mehr und mehr abgenommen 
wird. Die Zeit ist möglicherweise nicht mehr fern, wo nur noch wirk- 
liche Künstler das Schneiden in Holz zum Lebensberufe wählen können, 
weil der handwerksmäßige Betrieb sich nicht mehr verlohnen wird. Und 
dann wird auch die Eigenart dieser Kunst wieder rein und frei zur Er- 
scheinung kommen. ' 
Und eine derartige Reaction kann gerade durch diejenigen Mittel 
beschleunigt werden, welche jetzt das Ueberwuchern der lllustrations- 
Literatur befördern: lllustrations-Literatur, d. h. derjenigen Literatur, 
welche ihre Existenz einzig den Illustrationen verdankt. Der Büchermarkt 
wird heute mit großen und kleinen Bilderbüchern für Erwachsene förmlich 
überschwemmt, Büchern, bei deren Herstellung dem Schriftsteller neben 
dem Zeichner und dem Holzschneider ungefähr die Rolle des Clavier- 
spielers neben einer Concertsängerin zufällt. Er macht gar keinen An- 
spruch darauf, gelesen zu werden, oder wenn er ihn macht, gibt er sich 
einer großen Täuschung hin. ln dergleichen Büchern wird nur geblättert 
zum Zeitvertreib. 
So haben wir uns dem Schlusse eines Cirkels genähert: zu Anfang 
mussten die Illustrationen denjenigen dienen, welche nicht lesen konnten, 
jetzt denjenigen, welche nicht lesen mögen. Und darauf rechnen häufig 
auch schon die Zeichner, die sich selbst kaum die Mühe nehmen, den 
Text aufmerksam zu lesen, welchen sie angeblich illustriren, erläutern 
wollen; Und wenn es sich blos um ephemere Erscheinungen, Mode- 
Artikel für einen Weihnachtsmarkt handelte; aber mit welchem Mangel 
an Pietät sehen wir die Werke unserer Classilter behandelt! Wir müssen 
uns damit trösten, dass diese Modekrankheit vorübergehen wird wie 
andere mehr, desto rascher, je mehr in ihr gesündigt wird. Der Trost 
ist wohl ein leidiger, denn wer kann wissen, auf welche Absonderlich- 
keiten die Mode noch verfallen wird? Erleben wir doch in der Bücher- 
ausstattung das Unglaublichste. Kaum hat die Welt begriffen, dass die 
sogenannte Renaissanceschrift die schönste, edelste, lesbarste ist, und 
schon wird uns zugemuthet, noch schöner und. am Ende gar lesbar die 
verzwickten Schnörkelzüge zu finden, die wir sonst in alten Chroniken 
und Postillen als die Meisterleistungen der Perrückenzeit anstaunten. 
Allein auch dieser Laune stehen wir nicht ohne Trost gegenüber. 
ln jenen verrenkten und verschnörkelten Typen steigt vor unserem Auge 
auf in alter Pracht die Zeit des Reichstages in Regensburg mit seinen 
Relationen und Correlationen, seinen endlosen Rangstreitigkeiten und 
Formalitäten. ln seinen Kanzleien war ohne Zweifel Muße zum Ersinnen 
und Ausmalen solcher Buchstaben-Ungethüme, und wiederum zum Ent- 
zilfern dieser Hieroglyphen. Die Gegenwart schmeichelt sich gern mit
	        
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