Papyrus Erzherzog Rainer.
Die weitere Durchforschung dieser Sammlung hat seit unserem letzten
Berichte wieder eine Fülle wichtiger Ergebnisse in literarischer und anti-
quarischer Beziehung auf dem Gesammtgebiete des elfsprachigen Urkunden-
materials zu Tage gefördert. S0 wurden circa 200 Verse aus einer
Hesiod-Handschrift aufgefunden, welche die bisher bekannten Codices
an Alter bei Weitem übertrifft. Sie gehören den beiden Schriften "Werke
und Tagen und vSchild des Heraklesu an, die den um 800 vor Chr.
lebenden Dichter neben Homer als den glänzendsten Vertreter griechischer
Dichtkunst erscheinen lassen. Ein Fragment einer Uncial-Handschrift des
Heldengedichtes wArgonautica-i von Apollonius Rhodius (um 240
vor Chr.) ist insoferne von Bedeutung, als es in erwünschter Weise die
Autorität einer wichtigen Florentiner Handschrift erhöht. Mit einem
Fragment der homerischen wOdysseeu aus dem zweiten Jahrhundert
liegt der bisher erste und einzige Fund einer Papyrusrolle vor, welche die
Odyssee enthielt, während bislang nur die v-lliasu enthaltende Homer-
Rollen bekannt sind, wofür auch die erzherzogliche Sammlung zu dem
i., 2., 9. und 17. Buch die Belege bietet.
Zu den Privaturkunden sind wieder zahlreiche, zumeist vortrefflich
erhaltene Exemplare aus den Regierungsjahren der Kaiser Trajan, Hadrian,
Antoninus Pius und Marc Aurel hinzugekommen, durch welche uns
interessante Einblicke in das Leben jener Epoche eröffnet werden.
Wichtig ist aber, wegen ihrer Datirung, eine vorzüglich erhaltene Ur-
kunde, die unter der ephemeren Regierung der Nebenkaiser Macrianus
und Quietus (J. 261) ausgestellt wurde. Man muss mit Recht staunen
über die Reichhaltigkeit des erzherzoglichen Papyrus-Archivs, das uns so
unerwartet derlei historische Raritäten erschließt, denn merkwürdig zu
nennen ist in der That noch eine neu aufgefundene Urkunde aus der
Zeit der Gesammtherrschaft der Kaiser und Cäsaren Pupienus, Balbinus
und Gordian des Jüngeren.
Auf koptischem Schriftgebiete fanden sich umfangreiche Frag-
mente einer I-lomilie des berühmten Kirchenvaters Johannes Chrysostomus
(1- 407) über wBuße und Enthaltsamkeit: in saidischem Dialecte. Ein
prächtig geschriebener großer Erlass des im Range eines Finanzministers
von Aegypten zu denkenden arabischen Steuerdirectors Raschid (8. Jahrh.),
dessen Insiegel aus Thon noch vollständig erhalten ist, enthält Vor-
schriften über die Abfassung der Steuerlisten anlässlich des Beginnes
einer neuen lndiction. Es ist dies das erste amtliche Actenstück der
Sammlung, welches, in koptischer Schrift und Sprache abgefasst, einen
hochinteressanten Beitrag zur Sprachenfrage im Chalifenreich, vor der
centralisirenden Staatsreforrn, bietet.
Unter den hebräischen Papyri nimmt nunmehr ein großer, in
Quadratlettern geschriebener arabischer Brief aus dem Beginn des 9. Jahr-