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Die Ausstellung weiblicher Handarbeiten im Oesterr.
Museum.
(März, April, Mai 1886.)
Von Dr. A. Riegl.
Wenn man die abgelaufenen zwanzig Jahre kunstgewerblicher Reform
in Oesterreich überblickt, so erscheint die Wiedergeburt der textilen Kunst
als Anfangs- und Schlusspunkt der gesammten Bewegung. Sie eröffnet
den Reigen, indem sie in der Weberei zuerst den vom Oesterr. Museum
ausgegangenen Reformideen mit durchschlagendem Erfolge praktische Gel-
tung verschaEte und bereits auf der Pariser Ausstellung von 1867 diesen
Ideen den Weltmarkt eroberte. Was aber die Industrie mit ihren tausend-
fachen Vervielfältigungen unter der thatkräftigen Initiative Verständniss-
voller Männer wie Ed. v. Haas und C. Giani in verhältnissmäßig kurzer
Zeit erringen konnte, das blieb dem anderen Zweige der textilen Kunst
- der Stickerei und der ihr verwandten Spitze - lange Zeit versagt.
Während Glas, Keramik, Metall- und Möbelindustrie 11ach- und neben-
einander von der Bewegung ergritfen wurden, mussten wohl an zehn
Jahre seit jenen ersten Triumphen der österreichischen Textil-Industriellen
vorübergehen, bis man in den weiblichen Handarbeiten ein allmäliges
Platzgreifen besserer Anschauungen über Technik, Zeichnung und Farbe
wahrnehmen konnte. Denn wenn auch hie und da ganz Richtiges, ja Vor-
treifliches von Damenhand geschaffen wurde, so vermochten derlei ver-
einzelie Beispiele noch nicht den Anstoß zu einer allgemeinen Umkehr
zu geben; es fehlte eben auf diesem Gebiete an einem Industriellen, der
in weitausschauender Voraussicht des unausbleiblichen Umschwunges
durch kühnes Auftreten wider die herrschende Mode, der die Industrie
ausnahmslos huldigte, die Bewegung in Fluss gebracht hätte. So kam
es, dass auf dem Gebiete der Stickerei die neuen Impulse merkwürdiger-
weise nicht von der Industrie ausgegangen sind, sondern umgekehrt die
Damen es waren, die, durch eine treffliche Schule herangebildet, eine
neue Art zur Geltung brachten, der sich in der Folge auch die Industrie
auf die Dauer nicht verschließen konnte. Dieser eigenthümliche Gang
verschuldete die Verzögerung der Reform, so dass die Textilkunst auf
diesem Gebiete von den anderen technischen Künsten überflügelt wurde;
sie schließt nunmehr den Cyklus, der mit den gewebten Decorations-
stoßen der Firma Haas 81 Söhne und den kirchlichen Paramenten von
Giani anhebt, in erfreulicher Weise ab.
Das Ereigniss, welches die Anbahnung der Geschmacksreform auf
dem Gebiete der weiblichen Handarbeiten überhaupt ermöglichte, war die
Gründung der k. k. Fachschule für Kunststickerei in Wien. Wie auf
vielen anderen Gebieten, war auch hier die Weltausstellung von 1873
fruchtbringend gewesen, indem sie durch eine über Anregung der da-
maligen Direction des Oesterr. Museums zu Stande gekommene Aus-
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