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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe I (1886 / 6)

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industrie fast ausschließlich weiblichen Händen ihre Entstehung ver- 
danken, die Arbeiten der Stickereigeschäfte und der Stickerinnen von 
Beruf ausdrücklich in's Programm der Ausstellung aufgenommen. 
Es ist hier nicht unsere Aufgabe, eine Geschichte der modernen 
Reform der weiblichen Handarbeiten zu schreiben. Sollen wir aber dem 
ersten Programmpunkt der Ausstellung, den Abstand zwischen 1873 und 
1886 zu zeigen, gerecht werden, dann dürfen wir uns wenigstens einige 
allgemeine historische Bemerkungen nicht versagen. Die Ausstellung von 
1873 fällt nicht mehr in die Zeit der äußersten Geschmacklosigkeit, wohl 
aber in eine solche vollkommener Rathlosigkeit. Nachdem es sich im 
Verlaufe der letzten Sechziger Jahre auf anderen kunstgewerblichen Ge- 
bieten so frisch und zukunftsfreudig zu regen begonnen hatte, dämmerte 
auch in der Damenwelt allmälig die Erkenntniss auf, dass es in den 
alten Geleisen nicht mehr weiter gehen könne. Man empfand die Unzu- 
länglichkeit der Technik, die Mängel der Muster, vor Allem aber die 
Verkommenheit des Farbcnsinnes. Die Folge davon war, dass man zunächst 
der Anwendung von Farbe möglichst aus dem Wege ging und sich mit 
Weißstickerei und Imitation alter genähter Spitzen begnügte. Damit war 
immerhin etwas gewonnen, wenngleich die Zeichnung in Folge Mangels 
an brauchbaren Vorlagen in der Regel grundschlecht blieb. Das Beste 
war noch immer die Ausführung, was sich wohl aus dem Wesen der 
weiblichen Handarbeiten erklärt, die ja ohne mückcnseiherische Sorgfalt 
und Geduld nicht denkbar sind. Dieser meist tadellosen Sauberkeit der ma- 
nuellen Ausführunglmag man das Lob zuschreiben, das die Berichterstatterin 
von 1873 für die Arbeiten der Dilettantinnen im Großen und Ganzen 
äußern zu dürfen glaubte. Die Industrie schwamm lustig mit der Mode: 
Spitzen und Weißstickerei. Eine Ausnahme, die nicht unerwähnt gelassen 
werden darf, bildete ein Industrieller, Carl Giani, der in kirchlichen 
Stickereien die großen Traditionen dieser der höchsten Prachtentfaltung 
dienenden Kunst nach Kräften aufrecht zu erhalten suchte. Aber konnten 
auch seine Erzeugnisse nicht völlig den Charakter der Zeit verleugnen, 
so war von dieser Seite überhaupt für eine Reform der modernen, vor- 
wiegend profanen Stickerei wenig zu erwarten, wie ia auch die alte 
Renaissancestickerei, indem sie die häuslichen textilen Gebrauchsgegen- 
stände mit buntem Schmucke überzog, hiebei keineswegs die steifen gold- 
starrenden Heiligenfiguren der kreuzbestickten Sammtcaseln zu Vorbildern 
erwählte. 
Wie wenig die große Menge der Damen geneigt oder befähigt war, 
die Nutzanwendung aus den Lehren von 1873 zu ziehen, zeigte sich in 
den nächstfolgenden Jahren. Der allgemeine Charakter blieb unverändert: 
wo man es wieder einmal mit Buntstickerei wagte, da entzog sich das 
Product in der Regel jeder ästhetischen Kritik. Hie und da gelang ein 
Versuch nach einer Richtung, aber zu vollendeten Leistungen vermochte 
man es nicht zu bringen. Schienen somit die im Jahre 1873 exponirt
	        
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