- der Rohstoff -- aufhört für einen gegebenen kunstgewerblichen Zweck
rein und unvermischt zur Anwendung zu gelangen. In unserer Zeit, da
die Baumwolle als Surrogat fast aller übrigen Rohstoffe dient und mit
letzteren nicht nur äußerlich, sondern zu einem untheilbaren Ganzen
vermengt wird, lassen sich die stilistischen Grenzen in ihrer vollen
Strenge nicht aufrecht erhalten. Ueber diese Schwierigkeit vermögen
wir jedoch nicht hinwegzukommen, und es bleibt noch immer das Zweck-
mäßigste, die Eintheilung nach Rohstoffen zu Grunde zu legen.
Wir beginnen mit dem vornehmsten - der Wolle. Seit Jahr-
hunderten beschränkte sich die Industrie dieses Rohstolies im Reichen-
berger Kammerbezirke auf die Erzeugung glatter oder geköperter ein-
farbiger Tuche. Erst mit Anfang der Fünfziger Jahre begann man sich
der Fabrication der von der Mode bevorzugten facpnnirten und mehr-
farbigen Wollstoile zuzuwenden, die bis dahin in Oesterreich ausschließ-
lich von der Brünner Industrie hergestellt worden waren. Diesen Bestre-
bungen kam der inzwischen erfolgte Aufschwung des Maschinenwesens
zu statten, den man sich zunächst in möglichst umfassender Weise zu
Nutze zu machen suchte. Eben dem Bedürfnisse nach Beherrschung der
technischen Hilfsmittel ist die Gründung jenes Institutes zuzuschreiben,
das hier wie anderwärts und auf anderen Gebieten der Kunstindustrie
der mächtigste Hebel für eine zeitgemäße Reform geworden ist: die
Gründung einer Schule. Nach dem Vorbilde der Chemnitzer Webeschule
wurde im Jahre 1852 vom Reichenberger Gewerbevereine die Webeschule
zu Reichenberg gegründet, deren Bedeutung die Reichenberger Tuch-
macherzunft rechtzeitig zu erfassen wusste, indem sie dieselbe subventionirte
und im Jahre 1855 unter ihre eigene Obhut nahm. Dieser Schule war
die Aufgabe gestellt, ihre Schüler mit der Anfertigung faconnirter Stoffe
bekannt zu machen; zu dem Zwecke wurde neben der praktischen
Anweisung am Webstuhle auch Unterricht im Zeichnen ertheilt. Der
Erfolg war ein glänzender: die Kammerberichte der folgenden Jahre
zollen der Webeschule rückhaltlose Anerkennung. Im Jahre 1864 wurden
bereits annäherungsweise um zwei Drittheile mehr Stoffe als glatte Waare
erzeugt, und man stand nicht an, dieses Ergebniss zum größten Theile
auf Rechnung der Wirksamkeit der Schule zu setzen. Es ist daher nicht
zu verwundern, dass auch die Schule ihrerseits sich immer höhere Ziele
setzte. Im Jahre 1860 führte sie bereits Vorträge über Farbenharmonie
ein, und im selben Jahre erwog man schon eifrig den Plan der Gründung
einer höheren Webeschule. Die erste nächstliegende Frage des technischen
Könnens war überwunden, die Geschmacksfrage gelangte auf die Tages-
ordnung. Mit der Aufnahme der Teppich- und Wolldeckenfabrication
(J. Ginzltey in Maffersdorf) war der kunstgewerblichen Production ein
weiteres großes Gebiet erschlossen worden, und zur Zeit, da I-Iaas St
Söhne auf der Pariser Weltausstellung ihre epochemachenden Erfolge